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Meine Freunde, mein Leben und ich
oder: “Wenn du ich wärst, wer wärst du dann?

Vorwort |Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 | Kapitel 6 | Kapitel 7 | Kapitel 8 | Kapitel 9 | Epilog

Kapitel 6

Besuch

Ich döste ein und war dann nach scheinbar wenigen Sekunden wieder hellwach. Kerzengerade saß ich im Bett und sah mich erschrocken um. Die Dunkelheit um mich herum wirkte schwer und machte mich irgendwie träge. Doch ich spürte die Anwesenheit von irgendetwas. Und eine Art Drang. Drang irgendetwas klar zu stellen. Einen Augenblick später war ich der festen Überzeugung, das etwas in meinem Zimmer war. Nicht Materielles, mehr ein Wunsch, ja, nahezu ein Verlangen, das eine Form annahm, die nur ich spürte. In meinem Fall war das Ganze ein Geschöpf meiner Fantasie mit zwei Flügeln auf dem Rücken, die ich nicht sah, von denen ich aber dennoch der festen Überzeugung war, dass sie da waren. Doch in Wahrheit war mein Zimmer leer und alles was existierte war die Aura, die meine Fantasie erschuf, und mir sagte, dass jemand da war. Ein Engel. Mein Beschützer.

„Du bist wütend. Und allein. Du wünschst dir, die beste von allen sein zu können. Keine Lehrer, keine Eltern. Die Welt kann niemandem mehr weniger bedeuten als dir. Am liebsten würdest du alles alleine bestreiten – aber nachts, wenn du allein zu Haus bist. Dann weinst du“. Der Engel streckte seine Hand aus, obwohl ich sie nicht richtig sah. Es war mehr wie etwas, von dem man wusste, dass es da war, man es aber nicht erkennen konnte. Man spürte es nur, aber ich meinte es auch sehen zu können. Er reichte mir eine Hand, eine unbeschreibliche Hand. Sie hatte keine Form, so wie der Engel kein Gesicht hatte. Ich wusste nicht, ob er männlich oder weiblich war und ob Engel überhaupt ein Gesicht hatten. „Tiefer kann ich nicht mehr sinken“, gab ich zu, doch der Engel bedeutete mir zu schweigen. Ich weiß nicht wie er es tat, doch ich verstand die unsichtbare Geste und behielt meine depressiven Gedanken für mich. Stattdessen tat ich etwas anderes… Ich nahm seine Hand, zumindest glaubte ich das, und fühlte auf einmal, wie mich tausend Bilder übermannten. Bilder aus meinem Leben. Schreckliche Bilder, peinliche, wie auch traurige Momente. Doch der Engel sprach unbeeinruckt weiter. „Du lächelst, aber in Wirklichkeit geht’s dir mies“, ich meinte eine Art Lachen zu hören. „Ach ja, diesen Trick kenn ich nur zu gut!“. Dann schwieg der Engel und die Worte wirkten allmählich. Ich hörte auf zu weinen und die Bilder verschwanden, sodass ich wieder die Schwärze meines Zimmers um mich herum wahrnahm. „Du wirst dich nicht immer so schlecht fühlen, das verspreche ich dir. Es gibt so viele… so viele Dinge, die du tun möchtest. Gib nicht auf!“, flüsterte der Engel und ich blinzelte monoton, als könnte ich so die Nacht vertreiben. „Versuch nicht jetzt schon groß, stark und erwachsen zu werden. Gib dir einfach noch ein wenig Zeit!“. Doch ich wollte nicht warten. Energisch schüttelte ich den Kopf. „Das Leben besteht doch nur aus einer endlosen Warterei! Warten auf den Zug, auf das Ende der Schlange, auf die Post, auf die Nacht, aufs Frühstück, auf den Tag und letzten Endes wartest du nur noch auf den Tod!“. Darauf sagte der Engel nichts, doch ich spürte seine Anwesenheit noch immer. Meine Stimme hatte sich beinahe überschlagen bei diesen Worten, doch jetzt beruhigte ich mich wieder und sagte mit zittriger Stimme: „Ich bin ungeduldig, kein ruhiger Mensch, der warten kann. Was, wenn ich das Warten überspringen will?“, fragte ich leise. „Dann stirbst du“, sagte der Engel reserviert und ich nickte in die bedrückende Dunkelheit hinein. „Aber das willst du nicht wirklich“, fügte er hinzu und ich hörte aus seinen Worten heraus, dass er lächelte. Ich hörte abrupt auf zu nicken. „Du lebst vielleicht gerade einen schrecklichen Albtraum, obwohl du nicht schläfst, aber im Grunde genommen könntest du jederzeit aufwachen, indem du stirbst. Ja. Aber nein, das willst du nicht. Verlier nicht den Willen, du hast ein starkes Herz, aber du brauchst jemanden, der dich daran erinnert, dass du eine Kämpferin bist“. In diesem Moment hätte ich schwöre können, dass mir jemand sachte gegen die Stirn tippte… „Also, wie wäre es wenn du dich selbst daran erinnerst? Ansonsten schau ich demnächst mal öfter vorbei!“, versprach der Engel. Und dann verschwand er. Vielmehr verschwand das Gefühl. Dieses angenehme Kribbeln auf meiner Haut. Vielmehr das Gefühl, das man hat, wenn man hat, wenn jemand anders im Raum ist, man ihn aber nicht sehen kann.

 

Heute ist mir klar. Es war kein Engel, der da mit mir gesprochen hat…

Das war ich selber.

Man selbst weiß doch immer am besten, wie man sich fühlt. Das kann einem kein Arzt der Welt besser sagen als man selber, auch kein übernatürliches Wesen wie ein Engel kann dich selber durchschauen. Das kannst nur du selber!

 

Es war vier Uhr morgens als ich meinen PC anschaltete und erstaunlicherweise sofort das Dokument fand, das ich vor wenigen Stunden geschlossen hatte. Ich rieb mir die Müdigkeit aus den Augen und tippte weiter. „Aber ich habe auch positive Seiten. Ich bin verantwortungsvoll, bewahre auch in heiklen Situationen meist einen kühlen Kopf – zumindest wenn sie mir nicht weltfremd sind. Ich kann sagen, was ich denke und was mir gerade durch den Kopf geht. Zudem finde ich meist die richtigen Worte um mich auszudrücken. Von meinem Selbstbewusstsein bin ich meist überzeugt und ich weiß, was ich kann (auch wenn ich dazu neige mich selbst in schlechtes Licht zu rücken). Ich hab eine musikalische und sprachliche Ader, spiele gern jemand anderen und kann gut diskutieren (wenn auch nicht mit Eltern, da stelle ich spontan auf Verweigerung). Man kann mit mir reden, wenn man ein Problem (mit mir) hat und mir fällt nicht selten ein Zitat einer berühmten Person ein – damit schlage ich gerne um mich. Ich bin treu und mache mir selbst ein Bild von einer Person, anstatt mit dem Wissen anderer zu urteilen“.

Je länger ich schrieb desto öfter musste ich lächeln. Was angeberisch klang, das war nichts als die reine Wahrheit, wobei ich zugeben musste, dass ich in meinem Leben nicht selten auf dem schmalen Grad zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz balancierte. Und beim Balancieren rutschte man ja bekanntlich auch mal ab. Unermüdlich – denn müder als ich ohnehin schon war konnte man gar nicht werden – tippte ich weiter.

„Oft fange ich im Unterricht plötzlich an zu singen… oder unter der Dusche, auf der Straße und im Wartezimmer. Ohne MP3-Player geh ich nie aus dem Haus! Außerdem brauch ich immer ein wenig Stress, denn ich mag einen voll geplanten Tag. Ich spiele gerne Gitarre, schreibe Gedichte, Geschichten und Forenrollenspiele. Weiterhin les ich gerne (Fantasy, Romane, Krimis). In der Schule sind meine Lieblingsfächer Deutsch, Musik, Französisch und Englisch. Die beherrsche ich auch einigermaßen“.

So, Mary. Und wer bist du jetzt eigentlich?

„Ich bin nicht das sensibelste Wesen auf Erden, aber bei trauriger Musik und traurigen Filmen kuschele ich gern mit meinem Kissen (wen anders hab ich ja nicht, wer sich erinnert: ich wurde kürzlich abserviert) und fang an zu heulen. Wenn ich Musik höre, Apfelschorle, Rockstar oder Cola trinke, dann geh ich auch mal ein
wenig ab... ein wenig mehr als andere, irgendwie reagier ich empfindlich auf Koffein... (Yuki möchte ich jetzt nicht unbedingt als Vergleich nennen, die reagiert überempfindlich). Ich bin ein von Natur aus lebensfroher Mensch. Ich bin weder optimistisch, noch pessimistisch, sondern ein vollkommener Realist, der die Dinge
so nimmt, wie sie kommen. Ich lache vielleicht ein wenig mehr als andere und bin ansonsten ein ewig lachender Mensch“.

Meistens. Es sei denn es geht mir beschissen. Doch auch im Moment lächelte ich erstaunlicherweise. Ich lächelte, zuversichtlich. Zuversichtlich, dass sich irgendetwas verändern würde!

Diesmal schaltete ich den Computer mit einem guten Gefühl aus. Dem Gefühl, dass ich etwas verändern konnte, wenn ich nur wollte. Und ich wollte. Ich wollte eine Veränderung, mehr als alles andere. Wenn das auch nur annähernd so leicht geworden wäre, wie ich dachte, dann wäre diese Geschichte nicht mal annähernd der Rede wert gewesen…