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„Sweet Symphony“

oder: „Symphonie“

Prolog | Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 | Kapitel 6 | Kapitel 7 (in Arbeit)

Kapitel 5

“Life is a solo”

 

Natürlich verpassten sie den ersten Zug. Das bedeutete eine Stunde Wartezeit am Bahnhof. Joseph fluchte laut, doch Abby begnügte sich damit zu seufzen. „Du wolltest auf mich warten“, sagte sie vorwurfsvoll, nachdem sie sich gesetzt hatten. „Ich wollte nur nett sein“, gab er genauso vorwurfsvoll zurück und starrte sie böse an. Abby hielt seinem Blick nicht lange stand und wandte sich kommentarlos ab. Sie sah auf die große Bahnhofsuhr, laut der es ein paar Minuten nach eins war. Ihre Begegnung mit Kathrin heute hatte sie daran erinnert, dass heute Dienstag war und ihr privater Klavierunterricht bei Miss Summer auf dem Plan stand. Nicht gerade die schönsten Aussichten. „Abby? Hallo?“, ertönte es in ihrem Kopf und verwirrt sah Abby zu Joseph, der offenbar irgendwas gesagt hatte, das sie nicht verstanden hatte. „Äh, was? Sorry“, gab sie zurück. „Warum hast du gelacht, eben, als Kate... du weißt schon was gesagt hat?“, fragte er und es schien, als wiederhole er diese Frage. So als hätte er sie eben schon einmal gestellt. Unwillkürlich zuckten Abbys Mundwinkel. „Weil es peinlich war, dass sie so rumposaunt hat, dass sie dich toll findet. Ich meine, jeder weiß es, aber trotzdem sollte sie sich vielleicht etwas mehr zurückhalten“, schlug Abby süffisant lächelnd vor. „Hast du schon mal dran gedacht, dass mir das vielleicht auch peinlich war?“, hakte er nach und Abby sah ihn wie ein großes Fragezeichen an. In ihrem Gesicht stand groß und breit: „Nö?“, geschrieben, doch um es auszusprechen fehlte ihr die nötige Unhöflichkeit. Ein wenig betreten sah Joseph zur Seite. „Also ich find Kate nett... egal ob sie peinlich ist oder nicht“, meinte er und in seinem Tonfall lag etwas Herausforderndes. „Na wenn du meinst. Nimm es mir nicht übel, aber wär ich ein Kerl würde ich nicht auf tonnenweise Make-Up stehen“, meinte Abby tonlos und zuckte mit den Schultern. Diese Aussage ließ Joseph einen Moment zögern. „Ich hätte einfach nicht erwartet, dass du lachst. Ich dachte wir wären befreundet“. Dieser Kommentar ließ Abby überrascht herumfahren und Joseph entgeistert ansehen. „Nein? Wir kennen uns – keine 48 Stunden. Du platzt einfach in mein Leben und erwartest, dass ich das hinnehme, du kennst mich nicht, ich kenn dich nicht“, meinte Abby und holte gerade Luft um fortzufahren, als Joseph sie unterbrach. „Naja, das lässt sich ändern“, sagte er lediglich und setzte wieder sein Lächeln auf. Abby stockte und wandte sich wieder ab. Der Kerl war wirklich nicht mehr zu retten. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass die Minuten heute absolut keine Lust hatten zu verstreichen. Sie musste noch mindestens eine Stunde mit diesem Kerl verbringen, dessen pure Anwesenheit sie aggressiv machte. „Auf was für Mädels ständest du denn, wenn du ein Kerl wärst?“, fragte Joseph und anstatt wieder eine egoistische, arrogante oder unhöfliche Antwort zu geben, meinte Abby wahrheitsgetreu: „Auf die, die ehrlich sind. Die dir auch ins Gesicht sagen, wenn du was falsch machst und die nicht an dir hängen wie Kletten... und gut aussehen sollten sie auch... sie sollten direkt und humorvoll sein... so in etwa. Aber ich bin ja kein Kerl“. Joseph hatte mit dem Blick ins Leere gerichtet zugehört und nickte nun monoton. „Mhmh“, machte er und wachte dann aus seinem merkwürdigen Trancezustand auf. Für Abby war das Thema damit abgeschlossen, also erwähnte sie es auch nicht wieder. Wenige Minuten später setzte ein warmer Sommerregen ein und Abby verfluchte zum wiederholten Mal an diesem Tag ihr verdammtes Leben. Die Bänke auf denen sie saßen waren nicht überdacht und so wurden sie klatschnass. Eigentlich mochte Abby Regen, aber sie hatte nicht das Bedürfnis sich mit dieser Anmerkung in Josephs Gegenwart lächerlich zu machen. Wer mochte schon Regen? Wortlos reichte Joseph Abby seine Jacke, doch diese bedachte ihn nur mit einem bösen Blick und sagte: „Verdammt ich brauch deine Hilfe nicht!“. Genauso wortlos zog er die Jacke zurück und zog sie sich selber an. Wortlos blieb es auch und bis auf einen verletzt bis wütenden Blick von Joseph passierte nichts, bis der Zug einfuhr. Betretenes Schweigen breitete sich aus, als die beiden sich in den menschenleeren Waggon setzten und vermieden sich gegenseitig anzusehen. Für jeden Außenstehenden würde es so wirken, als würden die beiden sich abgrundtief hassen und wenn es nach Abby gehen würde, wäre nichts anderes der Fall.

Trotz dem Schweigen brachte Joseph Abby bis vor die Haustür. Sie waren beide klatschnass und Abby beeilte sich ins Haus zu kommen. „Machs Gut Kleine, bis morgen früh“, meinte Joseph und ehe Abby etwas erwidern konnte hatte er sich umgedreht und war gegangen. Na klasse, sie wurde diesen Typen offensichtlich nie los.

Sie hatte kaum Zeit sich umzuziehen und ihre Haare zu föhnen, da war es viertel vor drei. Sie musste eine Station mit der Bahn fahren um zu Kathrin zu kommen, die Adresse hatte sie und eine ihrer ehemals besten Freundinnen wohnte in der Straße, in der auch die Kleine wohnte. „Kleine“... bei dem Wort überkam Abby wieder ein Brechreiz. Joseph hatte sie Kleine genannt, was dachte der, wer sie war? Ein kleines Kind vielleicht? Schnaubend packte Abby sich die Noten von „Suffer the sorrows“ und verließ das Haus. Sowohl die Zugfahrt als auch das Finden der Straße gestalteten sich als einfach – und noch einfacher war es das passende Haus zu finden...

 

Vor Abbys Augen stand eine große Villa. Hausnummer 37, so wie sie es sich aufgeschrieben hatte. Sie staunte nicht schlecht, hatte die Kleine doch nicht raushängen lassen, dass sie so viel Kohle besaß. Bescheiden, bescheiden das Mädchen.

Schmunzelnd ging Abby auf die große, weiß gestrichene Tür des Hauses zu und hatte Angst den goldenen Türklopfer zu benutzen. Nach ein paar Sekunden des Zögerns benutzte sie ihn dann doch und wenige Herzschläge später öffnete eine Haushälterin die Tür. Zumindest hielt die Frau einen Staubwedel in der Hand und trug so in schickes, weißes Cappi. Die Mutter würde es wohl kaum sein. Niemals. „Kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte die Frau mit dem ernsten Gesicht und spitzte die Lippen. „Ähm ja, Abbigail Summer mein Name, ich bin die Klavierlehrerin“, Abby zeigte Gänsefüßchen in die Luft, „von Kathrin“, endete sie dann. Wieder spitzte die Frau Abby gegenüber die Lippen und ließ mich dann hinein. „Schuhe aus“, befahl sie herrisch und trippelte von dannen. „KATHRIN?“, brüllte sie barsch ins Treppenhaus hinauf. Abby hörte hastige Schritte, dann ein lautes Geräusch, als wäre etwas umgefallen und dumpf auf den Boden geknallt. „KATHRIN?“, brüllte die Haushälterin erneut. „Hey, hey, bleiben sie ruhig, wir haben alle Zeit der Welt“, beruhigte Abby sie mit einem gespielt, charmanten Lächeln im Gesicht. Mittlerweile hatte sie ihre Schuhe brav zu den anderen gestellt und war zu der ernst dreinschauenden und sehr herrischen Frau gegangen, die mit ihrer weißen Kappe wirklich lächerlich aussah. Oben hörte man wieder hastige Schritte und dann das Poltern auf der Treppe. „Ja?“, hörte Abby Kathrins Stimme vom Treppenabsatz her. Sie klang abgehetzt und ängstlich, aus welchem Grund auch immer. „Deine Klavierlehrerin, Miss Summer ist da“, sagte die Frau knapp und nickte in Abbys Richtung. Zaghaft winkte Abby Kathrin zu, die ein erleichtertes Lächeln aufgesetzt hatte und in Richtung der Haushälterin nickte. „Danke“, sagte sie und winkte Abby dann die Treppe hinauf. Abby ließ es sich nicht nehmen der Haushälterin einmal überheblich zuzulächeln, ehe sie Kathrin hinterher tapste und sie musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass die Frau am Treppenabsatz entgeistert dreinschaute.

Kathrins Zimmer wurde vom Licht durchflutet, dass durch die großen Fenster fiel. Es war wunderschön. Einfach nur wunderschön. Viel stand nicht in den großräumigen vier Wänden des Mädchens. Ein großes Doppelbett (sie war neun oder zehn verdammt noch mal!), ein großer Wandschrank und ein ebenso großer Flügel. Das war so ziemlich alles. Abgesehen von dem Nachttisch, auf dem sich die Bücher stapelten und auf dem gerade so noch eine Lampe ihren Platz gefunden hatte... „Hm, herzlich Willkommen“, sagte Kathrin ein wenig unbeholfen, während Abby sich noch staunend umsah. „Es ist nichts besonderes, aber ich hoffe es ist okay...“, fügte sie hinzu doch Abby winkte ab. „Es ist wunderschön“, gestand sie und zum wiederholten Mal an diesem Tage musste sie lächeln. Schüchtern lächelte Kathrin und fixierte Abby mit ihrem blauäugigen Blick. „Gut, dann wollen wir mal anfangen“, schlug Abby vor und nahm ohne zu fragen auf dem Klavierhocker platz. Hastig setzte sich Kathrin neben sie und sah sie dann unsicher an. „Die Noten hast du dir bestimmt schon angeschaut, richtig?“, setzte Abby voraus, doch Kathrin schüttelte hastig den Kopf. Seufzend rieb Abby sich die Schläfen und setzte eine etwas ernstere Miene auf.

- „Pass auf, Kleine. Wenn du am Ende des Jahres bei der Schulaufführung mitmachen möchtest, dann solltest du üben. Jeden Tag, verstanden?“

- „Du hast leicht reden, du hast jede Menge Talent, bei dir funktioniert das ja alles so!“, entgegnete Kathrin patzig. Das war eindeutig der falsche Kommentar gewesen...

- „Hör zu. Hör mir mal ganz genau zu! Glaubst du allen Ernstes, ich hätte nie geübt?“. Kathrin gab keine Antwort sondern starrte nur stumm auf die Tasten. „Ich habe in der Fünften jeden Tag Stunden am Klavier gesessen. Und am Anfang war ich genau wie du. Naiv in dem Glauben, dass man es so schafft, aber arrogant genug um zu behaupten, dass andere es leichter haben als man selbst! Und dann hat meine damalige Lehrerin mir gesagt, dass das nichts mit Talent zu tun hat, sondern mit dem Willen etwas zu lernen! Sie hat mir den Kopf gewaschen, allerdings viel zu spät! Ich hab die Schulaufführung nicht mitspielen dürfen, weil ich zu arrogant war und weil mein Stolz und meine Faulheit zu groß waren. Und wenn du den gleichen Fehler machst, dann, glaub mir, dann reiß ich dir den Kopf ab!“, sagte Abby und wurde dabei ungewollt lauter. In ihrem Gesicht standen Enttäuschung und Wut und Kathrin schien kurz davor zu heulen. „Ich hab ein Jahr gebraucht um das zu kapieren, bitte kapier du es jetzt. Eifer nicht irgendeinem Vorbild nach, sondern mach dein eigenes Ding!“, riet sie Kathrin und zog an einem ihrer blonden Zöpfe. „Färb dir nicht die Haare und versuch so zu sein wie ich, sondern versuch genau das Gegenteil: Mach es besser als ich, sonst gehst du daran kaputt!“.

- „Aber du bist toll... ich möchte so sein wie du, du bist stark... und du kannst toll spielen... und...“, schluchzte Kathrin.

- „Und ich habe und hatte einen Haufe Probleme, die du nicht haben möchtest. Glaub mir“, entgegnete Abby und unterbrach das kleine Häufchen Elend damit. „Und jetzt spiel“.

 

Kathrin hatte Talent, doch das würde Abby ihr nicht sagen. Dann würde sie sich auf dieser Aussage ausruhen, so wie Abby es damals getan hatte. Damals, in der Fünften. Als Abby nach zwei Stunden meinte Kathrin genug gezeigt zu haben, nickte sie zufrieden. „Das war okay“, sagte sie und durchbrach damit das Schweigen. Die letzten Stunden hatte sie beinahe durchgängig geschwiegen. Sie hatte vorgespielt, Kathrin nachgespielt. Und wenn etwas falsch war, hatte Abby es wiederholt. Ohne ein Wort. Seit zwei Stunden hatte Kathrin nur noch auf die Tasten gestarrt und ab und an war eine Träne auf den schwarzen Lack getropft. Abby hatte sie einfach weinen lassen, weil sie wusste, dass Weinen gut tat. Und jetzt sprach sie endlich wieder. Das erste Mal seit zwei Stunden... „Was... was sind das für Probleme, von denen du gesprochen hast?“, fragte sie vorsichtig. „Probleme, die dich nichts angehen“, entgegnete Abby lediglich kühl und sammelte ihre Noten zusammen. „Warum bist du immer so kühl?“, fragte sie dann. „Warum fragst du so viel?“, gab Abby als Gegenfrage zurück. „Weil ich dich kennen will, damit ich weiß, was ich nicht tun darf“, antwortete Kathrin nach kurzem Zögern. Abby lächelte nur süffisant. „Netter Versuch, Kleine“. Auf Kathrins Stirn bildeten sich Falten und ihre Augenbrauen wanderten enger zusammen. Abby seufzte und ging zur Tür. „Glaub mir, du wirst merken, wenn du einen Fehler machst. Und im Gegensatz zu mir wirst du dann auf deinem Weg umkehren und einen anderen einschlagen“.

Abby kam nicht dazu aus der Tür zu gehen, denn Kathrin fragte weiter. „Wieso bist du immer allein?“, „Warum hast du keine Freunde?“, „Warum lebst du so für die Musik?“ – und irgendwann wurde es Abby zu bunt. „Setzen!“, befahl sie und deutete auf Kathrins Bett. Und dann begann sie zu erzählen...

 

„Ich kam in die Fünfte, genau wie du. Ich war arrogant, wusste immer alles besser, war gut in der Schule und hatte einen Narren gefressen an der ersten Pianistin des Schulorchesters. Doch ich wusste es ja immer besser... also forderte ich sie ständig heraus. Ihre Name war Elen, sie hatte nie den Mumm jemandem ernsthaft die Meinung zu sagen, bis sie meine Arroganz nicht mehr aushielt. Immer wieder versuchte sie mich zum Lernen zu bringen, doch ich war der festen Überzeugung genauso gut zu sein wie sie. Ich bildete mir etwas auf mein perfektes Gehör ein, denn natürlich hatte ich damit einen großen Vorteil. Doch ich ruhte mich darauf aus. Übte nicht und erst zwei Monate vor der Vorführung begann meine Lehrerin, Elen, mich anzuschreien. Sie warf mir vor, was für ein arrogantes, dummes Kind ich doch sei. Damals hab ich genau das gleiche gemacht wie du. Ich färbte mir die Haare braun und ließ sie mir abschneiden, sodass ich so aussah wie sie. Eine Zeit lang trug ich sogar grüne Kontaktlinsen, weil sie grüne Augen hatte. Und irgendwann hat sie die Nerven verloren und mir die Meinung gesagt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass die diesjährige Schulaufführung für mich Geschichte geworden war. Sie schon und sie sagte es mir direkt und ohne Vorwarnung. Ich war fertig. Fix und fertig. Und ich beschloss etwas zu ändern. Anfang der Sechsten hatte ich kurze, blonde Haare und trug keine Kontaktlinsen mehr. Ich wurde ruhiger, fand mehr Freunde und es lebte sich um einiges einfacher als zuvor. Elen sah ich nie wieder. Von diesem Schuljahr an war ich die erste Pianistin des Orchesters. Elen war nach ihrer Ansage nicht mehr meine Lehrerin gewesen und nach der Schulaufführung, damals war sie in der Dreizehn, war sie verschwunden. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist und es interessiert mich auch nicht. Wichtig ist nur, dass ich nicht so sein werde wie sie. Ich begann zu arbeiten für mein Ziel und schaffte es in der Sechs bei der Aufführung mitspielen zu dürfen, ohne dass irgendjemand anders mein Solo spielen musste. Ich war glücklich, zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich wirklich stolz auf mich sein, weil ich etwas geleistet hatte! Seitdem bin ich stolz auf diesen Platz im Orchester, weil ich weiß, dass ich es mir erarbeitet habe so weit zu kommen“, erzählte sie und wurde dabei mit Gedanken konfrontiert, die sie eigentlich vergessen wollte. „Kennst du Danny Kaye?“, fragte sie. Kathrin schüttelte schweigend den Kopf. Die ganze Zeit hatte sie mit einem Staunen im Gesicht dagesessen und zugehört. „Ein Schauspieler, 1913 bis 1987, aus den USA. Hat soweit ich weiß auch mal gesungen und sich als Komiker probiert. Nun ja, unwichtig. Er sagte einmal: Es gibt zwei Möglichkeiten, Karriere zu machen: Entweder leistet man wirklich etwas, oder man behauptet, etwas zu leisten. Ich rate zur ersten Methode, denn hier ist die Konkurrenz bei weitem nicht so groß“. Auf Kathrins Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Ja, versteh ich“, meinte sie und Abby nickte. „Aber damit hast du mir noch nicht alle Fragen beantwortet!“, sagte sie dann und Abby lächelte wissend. „Ich weiß und ich werde sie dir auch nicht beantworten. Für ein paar Dinge bist du schlicht und ergreifend zu jung!“.
Auch wenn es Kathrin nicht gepasst und man ihr das auch deutlich angemerkt hatte, Abby erzählte es ihr trotzdem nicht. Es gab Dinge, die musste ein Kind noch nicht wissen und das war Kathrin schließlich. Ein Kind. Auch wenn sie es nicht hören wollte, aber sie war es und die Orchesteraufführung würde nur ihr erster Schritt zum Erwachsenwerden sein.

„Wieso bist du immer allein?“, fragte Kathrin dann und sah Abby wehleidig an. Gedankenversunken starrte sie zur untergehenden Sonne und seufzte. „Diese eine Antwort noch, dann muss ich wirklich heim!“, sagte Abby und ihr Gegenüber nickte eifrig. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, begann sie zu erzählen. „Meine Freundinnen waren immer für mich da. Sie haben mir zugehört und ich ihnen... so wie man sich Freundinnen eben vorstellt. Sie waren immer da, wenn ich sie gebraucht hab, auch am Tiefpunkt meines Lebens. Und da hab ich den größten Fehler der Welt gemacht. Sie wollten mir helfen und ich hab ihre Hilfe abgelehnt. Ich wollte leiden, wollte so viel Schmerz spüren, wie ich ertragen konnte. Ich war depressiv, meine Mutter war kurz davor mich in so eine Anstalt zu stecken, wo sie weiße Kittel tragen, weißt du?“. Den letzten Kommentar hatte sie nur angehängt, um Kathrins geschockten Gesichtsausdruck aufzuhellen und tatsächlich lächelte sie. Ganz im Gegensatz zu Abby, die ihre Tränen zurückhalten musste. „Ich hab ihre Hilfe also abgelehnt und versank in meinem Selbstmitleid, bis sie es nicht mehr mit anhören konnten und einfach verschwanden. Beidseitige Fehler, sie hätten nicht einfach gehen sollen, klar, richtige Freundinnen hätten weiter gekämpft, aber ich glaube ich war einfach unerträglich. Ich lebte nur noch für mein Ziel eines Tages mal auf einer der größten Bühnen dieser Welt zu stehen und ließ alles andere außen vor... ich...“, sie wollte noch mehr sagen, doch ein dicker Kloß in ihrem Hals verschlug ihr die Sprache. „Ich war einfach nicht mehr die Alte“.