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Meine Freunde, mein Leben und ich
oder: “Wenn du ich wärst, wer wärst du dann?

Vorwort |Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 | Kapitel 6 | Kapitel 7 | Kapitel 8 | Kapitel 9 | Epilog

Kapitel 4

Nein!

Es ist die verkürzte Version, zugegeben. So wie diese ganze Geschichte ein wenig abgeändert ist, damit sie für den Leser, oder die Leserin, nicht allzu langweilig wird. Welche Ereignisse erfunden sind und welche nicht, das kann man manchmal herauslesen – an vielen Stellen allerdings nicht. Und so auch diesmal. Ich möchte euch die 10.000 Verlaufseinträge des Chats zwischen Christian und mir vorenthalten, ihr habt es nicht verdient das alles mitzulesen, diesen hirnrissigen Blödsinn. Über den geplanten Vater meiner zukünftigen Kinder wisst ihr ja so gut wie überhaupt nichts! Also, er ist sechzehn, hat braune, etwas längere Haare (ich steh nicht auf Millimeterfrisuren) und geht in meine Klasse. Warum auch immer einige behaupten, seine Augen wären gelb – hm ich weiß nicht, sie sind braun oder grün… irgendeine Mischfarbe glaub ich. Hab sie mir nie genauer angeschaut. Leider. Nachdem Yuki und Fee am nächsten Morgen nach Hause fuhren oder gingen, war ich allein. Wir hatten aufgeräumt und alle konnten über die Ereignisse der letzten Nacht lachen. Zugegeben, manchmal ein wenig gequält, aber manchmal sollte man sich zum lachen zwingen – und nicht alles in sich hinein fressen.

Also, wie gesagt. Ich war allein. Also beschloss ich meinen Computer einzuschalten und zukünftigen Kindern ein Gesicht zu geben. Eins mit braunen Haaren und diesem süßen Lächeln. Ihr wisst schon, wie man sich kleine Kinder eben am süßesten vorstellt.

Ich lebte nach wie vor in einer heilen Welt. Frei nach dem Motto: „Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben“. Zugegeben, manchmal neige ich dazu in Letzteres über zu gehen, doch ich denke das ist erlaubt. Wer hält sich schon strikt an ein Lebensmotto? Für mich gab es einfach nur die realistische, unumstößliche Tatsache, dass Träume sich erfüllten, wenn man ganz fest daran glaubte und arbeitete. Doch ich musste ja noch so viel lernen, denn das war nicht immer so. Was beispielsweise, wenn die Gegenpartei nicht mitspielen wollte?

 

30. Juli 2009

 

Wie kann man jemanden so schrecklich gern haben? Grauenvoll. Ich meine, das war ein klares nein. Ich hab mir eingebildet, dass er mich oft ansieht und anlächelt, ich hab’s mir einfach eingebildet… hatte ja schon immer eine blühende Fantasie. Zunächst mal ist es ja wohl mal voll unpersönlich, dass ich ihn nicht von Angesicht zu Angesicht frage, ob er was von mir will oder nicht (für mich war doch klar, dass es „ja“ heißen würde, wieso traute ich mich dann nicht zu fragen? Unterbewusstsein sei dank!). Und dann hat er nein gesagt! Einfach so! *tränenklecks*

 

Ich meine, er kann doch nicht einfach „nein“ sagen!

 

Wütend klappte ich die mit Klarsichtfolie umhüllten Seiten des blauen Aktenordners zu. Wieso ich mein Tagebuch auf unlinierten Blättern in einem blauen Plastikaktenordner aufbewahrte? Weil ich das cool finde!

Man.

Nein, ernsthaft. Ich schieb öfter Andenken in die Folien rein. Eintrittskarten, Briefe, Karten und Zettelchen aus dem Unterricht. Also passt das ganz gut finde ich. Und nun beschloss ich nach diesen paar Worten in Selbstmitleid zu versinken. Für euch hört sich das vielleicht nicht katastrophal an, und im Nachhinein lächele ich ebenso darüber wie ihr, doch damals hat es verdammt weh getan abserviert zu werden. Wie gesagt, für mich hatte es immer das gegeben, was ich wollte. Das mag vielleicht so klingen, als wäre ich ein verwöhntes Einzelkind sein – doch ich bin kein Einzelkind… nur verwöhnt vermutlich. Aber Menschen konnte man nun mal nicht verlangen, das ging nicht, auch wenn ich es mir noch so sehr wünschte. Ich spielte auch nicht mit dem Gedanken mich zu verändern, nein, dafür war ich absolut nicht der Typ. Doch immerhin hatte er gesagt, wir würden trotzdem Freunde bleiben – und das waren wir schließlich. Ganz gute Freunde würde ich sagen. Und somit tat es nicht ganz so weh, als wenn er für immer verschwunden wäre… wenn ich nur gewusst hätte, wie das alles enden würde…

 

Ich wachte morgens auf und hatte noch meine Sachen vom Vortag an. Erschrocken sah ich auf mein Handy und sah die beiden bösen Buchstaben „Mo“ unten links in der Ecke stehen. Sofort sprang ich auf, raste ins Bad und… dann fiel mir ein, dass ja Ferien waren. Erschöpft legte ich meinen Kopf in die Hände und sah in den Spiegel. Erschrocken ließ ich die Hände von meinem geschwollenen Gesicht hinunter gleiten. Verwischte Wimperntusche, von der ich zunächst dachte, es wären die typischen, dunklen Ringe unter meinen Augen. Doch diese Ringe wären übertrieben gewesen. Viel zu übertrieben. Ich erinnerte mich jedoch an die Uhrzeit, laut meinem Handy und dem strahlenden Sonnenschein in meinem Zimmer (ich schlief zu 90% der Nächte mit offenen Rollos) war es bereits elf Uhr gewesen… und gegen Vormittag wollten mein Vater und ich eigentlich eine neue Gitarre für mich kaufen gehen… Seufzend schloss ich die Badezimmertür ab und stellte mich erstmal (viel zu lang natürlich) unter die heiße Dusche (Heiz-, Strom- und Wasserkosten? Pah!).

Seit ein paar Wochen spielte ich Gitarre… also… eigentlich hatte ich Gitarrenunterricht, seit ich sieben war. Aber erst seit ein paar Wochen spielte ich aktiv. Vorher hatte ich nie Lust gehabt zu üben, vermutlich einfach, weil ich es als reine Übung angesehen hatte daheim zu spielen. Natürlich hatte ich etwas gelernt in den letzten sieben Jahren, aber jetzt ging es eben voran. Die ersten Jahre hatte ich eine kleine, akustische Gitarre gehabt. Dann war ich für ein paar Jährchen auf E-Gitarre umgestiegen und hing nun nach wie vor dort. Jetzt wollte ich eine große, akustische Gitarre haben. Denn mein Musikstil (Lagerfeuermusik halt…) ließ sich schwer mit einer elektrischen Gitarre ausüben. Also auf in den Laden… dazu mussten wir erstmal eine Stunde fahren… na herrlich. Also Musik auf und rein mit der Dröhnung. Ich versuchte die Gedanken an Christian und das gestrige (selbstverständlich oberpeinliche) Gespräch zu verdrängen und ließ mich stattdessen auf ein wenig fröhlichere Musik ein, als meine Stimmung eigentlich zuließ. Zu trauriger Stimmung gehörte traurige Musik, denn fröhliche Musik zog einen für gewöhnlich nur noch weiter runter… man musste sich eben langsam nach oben arbeiten.

Wir gelangten also nach einer Stunde Fahrt und ein paar eher nebensächlichen Gesprächen an einem gigantischen Gitarrenladen an. Als wir ihn betraten kam ich mir sofort fehl am Platz vor. Es roch nach Holz und nach einer dieser Polituren, die in Möbelhäusern verwendet werden (ich kann Möbelhäuser nicht ausstehen, der Geruch da drin bereitet einem Kopfschmerzen!). Überall hingen Gitarren, allesamt schön anzusehen, aber das war nicht meine Welt. Ich war kein Rockstar, kein Musiker… nur ein armes, kleines Mädchen, das aus Spaß ein wenig Musik machen wollte. Doch ich wurde selbstverständlich vom Fach beraten. Ein leicht homosexuell wirkender Mann (was nicht bedeutet, dass ich etwas gegen diese Leute habe oder sie mir unsympathisch sind – der Typ war super nett und hilfsbereit) kam auf uns zu und fragte direkt nach unserem Anliegen. „Guten Tag, was darfs denn für sie sein?“, fragte er und sah abwechselnd mich und meinen Vater an. Da ich in Gegenwart von Fremden irgendwie erstmal völlig schweigsam reagierte, sprach mein Vater für das, was ich eigentlich haben wollte. „Wir suchen eine Gitarre“, sagte er und innerlich schlug ich mir die Hand vor den Kopf. „Ja, da sind sie hier richtig“, erklärte der Mann grinsend und ich rang mich zu einem zögerlichen Lächeln durch. „Haha, witzig“, dachte ich und hoffte, dass wir hier ganz schnell wieder raus kamen. „Gut, für einen von euch beiden?“. Ich nickte und deutete auf mich. „Ah, schön. Was denn für eine? Klassische oder Western Gitarre?“. Vor meinen Augen ploppten tausend Fragezeichen in die Luft und ich antwortete. „Klassische…?“. Den leicht fragenden Unterton überhörte er offenbar. Vermutlich war der Kerl es gewohnt nur Profis zu Gesicht zu bekommen… Profis und Leute, die etwas von ihrem Hobby verstanden. „Gut…“, sagte er und wollte gleich losgehen. „Äh, ich bin Linkshänder“, fügte ich hastig hinzu. „Okay, no way“, antwortete er und stemmte einfach die Hände in die Hüften, schüttelte den Kopf und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, der mitten im Laden stand. Ich schluckte trocken. Toll und jetzt? Doch, Himmel sei dank, er fragte weiter und ließ mich nicht weiter in meinem Fettnäpfchen herum schwimmen. „Was spielst du denn? Mozart? Beethoven?“, fragte er und schien einen Hoffnungsschimmer zu hegen. Energisch schüttelte ich den Kopf. „Ne…“, sagte ich und fragte mich dennoch, was er hören wollte. Wieso war ich so gottverdammt unsicher? Alle hielten mich für stark und selbstbewusst – und jetzt kauerte ich mich in einer unbekannten Situation, die mir nicht in den Kram passte, in eine imaginäre Ecke. Klasse, Mary. „Oasis?“, fragte er dann plötzlich und meine Augen hellten sich augenblicklich auf. „Ja, genau!“, erwiderte ich und nickte. Augenblicklich stand der Herr auf und klatschte in die Hände. „Das spielt man doch nicht auf einer klassischen Gitarre. Lagerfeuer-Musik, richtig?“. Ich nickte als Antwort und hatte ein paar Minuten darauf eine Gitarre in der Hand. „Probier mal darauf zu spielen“, sagte er. Für mich war eine Gitarre eine Gitarre. Egal aus welchem Holz sie war oder wie sie aussah. Für den Verkäufer war jede Gitarre ein Einzelexemplar, etwas Wertvolles, Besonderes, Einzigartiges. Und dementsprechend behandelte er die Teile auch. Vorsichtig nahm ich mit dem Instrument Platz und schlug irgendeinen Akkord an. „So, dann spiel das mal weiter“, forderte der Verkäufer und meinte damit die improvisierte, schlichte Akkordfolge für Kleinkinder, die ich gespielt hatte. Je länger ich in diesem stickigen Geschäft steckte – desto unangenehmer wurde die Situation und desto schrecklicher fühlte ich mich. Kurz schlucken, weiterspielen. Der Mann (an die fünfzig, hautenges T-Shirt, Ausschnitt bis zum Bauchnabel, Bierbrauch, ausgelatschte Schuhe, Jeans… Jeans!) spielte mir das ganze auf der klassischen Gitarre vor und ich musste gestehen: „Ja… klingt hierauf besser“.

Aber… ernsthaft: Woher sollte ich das wissen?

Mein Vater hatte unterdessen schweigend zugehört und gab ein recht dekoratives schmückendes Beiwerk ab. Wir waren bestimmt ne Stunde in dem Laden. Für eine blöde Gitarre! Der Mann spielte mir etwas vor, schenkte mir ein Buch mit Tonleitern und Tabs… und schließlich standen wir endlich an der Kasse. Ich mit Gitarrentasche und Gitarre auf dem Rücken. Das Geld wurde von Paps Karte abgebucht und wir wendeten uns zum Gehen… als… *klong*. Der Gurt meiner Gitarrentasche surrte durch die Schnalle und die Tasche fiel zu Boden…. „ICH WILL HIER RAUS!“, brüllte ich innerlich und haute meinen Kopf in Gedanken auf das dreckige Parkett.

Dem Instrument war nichts passiert, es war mehr die pure Situation, die mich aufgeregt hatte. Aber ernsthaft, worüber genau hatte ich mich aufgeregt? Über eine Situation, die mir nicht in den Kram passte? Vermutlich…

 

Im Auto drehte ich die Musik auf und hüllte mich in andächtiges Schweigen. Die Gitarre war doppelt so teuer geworden wie geplant, eine Tatsache, die auch meinen zu zahlenden Preis verdoppelte. Ich musste die Hälfte dazu zahlen, in meinem Fall 200€. Machbar, bei einem Taschengeld von 25€ im Monat. Doch irgendwie verdarb mir das alles den Spaß an dem Halbgeschenk. Zumindest im Moment. Im Auto schrieb ich eine SMS an meine dritte und letzte Freundin. Zumindest an meine letzte „beste“ Freundin. Jen. Jenny, Jennifer… ich nannte sie Jen. Wer sie Jennifer nannte wurde mit einem strafenden Blick bedacht.
„Wann soll ich morgen vorbeikommen?“, schrieb ich schlicht und ergreifend. Wenige Minuten später erhielt ich die Antwort: „Fahr am besten mit dem Zug um 11.17, ich hol dich in Au ab!“. Lächelnd packte ich das Handy in meine Hosentasche und versuchte den Rest der Fahrt zu vergessen, was geschehen war. Was half es über verschüttete Milch zu klagen? Vielmehr versuchte ich mich angestrengt auf Morgen zu freuen… und Christian aus meinem Kopf zu verbannen, ihn zu vergessen. Aber wie bereits der französische Schriftsteller Jean de la Bruyère sagte: „Jemanden vergessen wollen heißt an ihn denken“. Wie wahr.

Oh ja, mit Zitaten kann ich dienen.