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Vorwort | Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 (folgt)

Kapitel 3

Layla Evans haben wir für den weiteren Verlauf der Geschichte noch längst nicht gut genug kennen gelernt. Sie war der Typ von Mensch, den ein Psychologe als suizidgefährdet eingestuft hätte. Nicht viele kannten diese Seite von ihr, doch hatte sie einen Fehler begangen, zerfraß er sie von innen heraus. In dieser Hinsicht war sie anders, als ihre Tochter Kathrin, die diese Wut und den Hass nicht auf sich selbst abschrieb, sondern auf andere. Doch die alte Miss Evans richtete all ihren Hass gegen sich selbst – und dort gehörte er selbstverständlich auch hin. Als ihr Ehemann verstorben war, hatte sie sich selbst die Schuld zugeschrieben. Vor vier Jahren erkrankte er an Blutkrebs, also Leukämie und wurde arbeitslos. Vielmehr wurde er frühzeitig pensioniert und so mussten die beiden von einer mickrigen Rente leben – doch das war weniger das Problem. Layla bedachte ihren Mann Joseph nach wie vor mit all ihren Problemen und belastete ihn damit zusätzlich zu seiner Krankheit. Sie hatte ihm immer alles erzählt, egal ob es der Hund der Nachbarin gewesen war, der wieder in ihrem Vorgarten sein Geschäft erledigt hatte, oder ein paar Jugendliche, die an Halloween ihre Bäume mit Klopapier umwickelten, weil sie die Klingel nicht gehört hatten. Ja, sie hatte ihrem Mann all diese Problemchen haarklein erklärt und auch wenn er immer geduldig da gesessen oder gelegen hatte und zuhörte, sowie Ratschläge einbrachte und auch sonst eine Stütze für sie war, schrieb sie sich die Schuld an seinem Tod zu. Er hatte sie zwar immer unterstützt, doch sie ihn nie. Zugegeben war er der einzige Mensch, der sie jemals unterstützt hatte, denn ihre Freunde waren nie echt gewesen, so kam es ihr vor. Sie sagten zwar, sie würden immer hinter ihr stehen, aber wenn Layla sie brauchte, so waren sie in Las Vegas oder Los Angeles unterwegs gewesen, denn sie hatten allesamt reiche Männer geheiratet, die im übrigen alle noch unter den Lebenden weilten. Beispielsweise heiratete ihre Freundin Lusianne mit zweiundzwanzig und lebte seitdem glücklich und zufrieden mit einem vierzehn Jahre älteren Mann zusammen… in San Francisco.

Layla selbst betrachtete sich entweder als die Schuldige, oder das arme, kleine Mädchen, das keine Familie und keine Freunde hatte. Doch wenn sie es sich recht überlegte, so gefiel ihr dieses isolierte Leben sogar. So hatte sie nur ihre eigenen Probleme, die sie beschäftigten und nur ihre eigene Naivität, mit der sie klar kommen musste. Und wenn sie es sich recht überlegte, log sie sich die ganze Zeit über an…

Layla saß auf der Bank, auf der zuletzt Rose gesessen hatte. Natürlich stand der Teller mit ihrer nie angerührten Mahlzeit nicht mehr dort, doch sie erinnerte sich zurück an den Tag vor wenigen Wochen… an den Abend, an dem Kathrin letzten Endes vor Wut schäumend und mit einer Menge Tränen überall nach Hause gefahren war. Und was hatte Layla als erstes getan? Sie hatte das Salzwasser auf dem Fußboden vom Parkett aufgewischt, hatte dann schweigend und in trauter Einsamkeit den Lappen gewaschen und ausgewrungen, dann Roses Mahlzeit mit ausdruckslosem Gesicht in die Mülltonne gekippt und ausgiebig den Teller in der Spüle gewaschen. Das unbenutzte Besteck hatte sie in die Schublade zurück gelegt, dann war sie zu ihrer Bügelwäsche zurück gekehrt. Und erst nachdem sie jede Hausarbeit erledigt hatte, setzte sie sich auf genau diesen Platz, auf die Eckbank in der kleinen Küche ihrer Wohnung und sah aus dem Fenster. Es hatte zu regnen begonnen. Das Licht der Straßenlaterne genügte zwar nicht um es zu sehen, doch sie wusste, dass der Regen die Überbleibsel des Unfalls ihrer Enkelin verschwinden ließ. Sie würden verschwinden und fortgespült werden, so als hätte es die dunkelrote Lache unter ihr niemals gegeben… Als ihr klar wurde, wie durstig sie war und dass sie nicht ewig so am Fenster sitzen konnte, stand sie mühsam auf. Offenbar war sie nicht mehr so agil, wie sie wirkte. Nach außen hin war sie noch fit und vital, doch innen drin verkümmerte sie still vor sich hin. Und nun merkte sie es: Mit zunehmendem Alter fielen ihr Kleinigkeiten schwerer. Es war eine Schwäche, die sie sich nicht eingestehen wollte. Eine der vielen Schwächen, die sie nicht einsehen wollte. Als ihr Ehemann gestorben war, hatte ihre einzige Tochter ihr angeboten, bei sich zu wohnen, bis sie einen Platz im Altersheim für sie gefunden hatten. Für Layla war es eine Beleidigung gewesen, nichts als eine Beleidigung. Sie, in einem Alterheim… Nein, das passte ganz und gar nicht. Doch jetzt, wo sie sich ein Glas Wasser einschenkte und ihr bewusst wurde, wie schrecklich einsam sie war… jetzt wünschte sie sich, sie wäre auf das Angebot eingegangen. Doch jetzt, wo sie sich mit ihrer Tochter gestritten hatte, gab es wirklich absolut niemanden mehr, der noch für sie da war. Also saß sie wenige Tage nach der Beerdigung ihres einzigen Enkelkindes am Fenster ihrer kleinen Einbauküche, ein Glas Wasser in der unruhigen Hand… und sah aus dem Fenster. Vor ihrem inneren Auge blitzen grausame Bilder auf. Verrenkte Glieder, Blut und ein entsetzter Ausdruck im Gesicht der Siebenjährigen…

Ja, bis zu diesem Tag hatte Layla in jedem Lebensabschnitt irgendetwas verloren und nie etwas gewonnen. Sie hatte einen Höhepunkt im Leben gehabt, doch der war lange vorbei gewesen. Das war bevor die Zeit aus ihr eine verkrüppelte, alte Frau gemacht hatte. Alles was bei ihr noch tadellos funktionierte war ihr Verstand. Sie war sich bewusst, was geschah, litt nicht an Alzheimer und auch sonst an keiner Krankheit. Wozu beschwerte sie sich dann? Ja, genau. Weil es ihr gut ging. Und allen anderen nicht.

 

Ich war verstörter an diesem Morgen, als ich zunächst angenommen hatte. Erst schlang ich meinem imaginären Helden dieser Nacht den Arm um die Brust, dann bemerkte ich, dass er (wie das Wort „imaginär“ schon sagte) nicht existent war. Dann, als ich deprimiert resigniert hatte, dass ich jedoch nach wie vor so lebendig und existent war, wie ich es nicht mehr hätte sein können, stieg ich vorsichtig aus dem Bett. Als ich aufstand und meinen Kreislauf in Schwung brachte, indem ich mir einen Kaffee kochte, sah ich in den Spiegel im Bad… und wäre gleich darauf beinahe erschrocken zurück gesprungen. Ich sah mehr als nur fürchterlich aus. Beinahe wie im verkaterten Zustand und das, obwohl ich keinen Alkohol getrunken hatte. Während ich mein zerknautschtes Gesicht im Spiegel betrachtete, versuchte ich mich zu erinnern, was gestern Abend geschehen war. Da war dieser unglaublich gut aussehende Typ, der mir meine Brieftasche vorbei gebracht hatte… und dem ich dann die Tür vor der Nase zugeknallt hatte. Das letzte, was ich im Moment gebrauchen konnte, war irgendein Gentleman, der mir den Hof machte… Angesichts meiner Lebenssituation war das vermutlich ganz verständlich. Ich fuhr mir erschöpft mit der Hand durch mein dunkles Haar und wirkte danach noch zerzauster als zuvor. Also beschloss ich zu duschen.

Während ich unter der Dusche stand, dachte ich an die Träume dieser Nacht zurück. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, schien es mir, als bräuchte ich jemanden, der mir Halt gab. Der mich auffing… und dieser Dylan schien als potenzieller Anwärter auf diesen Posten durchaus in Frage zu kommen! Ja, der Traum diese Nacht war nicht der übliche gewesen. Er hatte mich davon abgelenkt, dass Rose, meine Tochter… tot war.

Ich beschloss außer Haus zu frühstücken, also zog ich mich an, ganz lässig in Jeans und Top, und hängte mir meine Handtasche über die Schulter. Zuvor legte ich im Bad einen Hauch von Rouge auf. Ich wirkte erstaunlich ausgeschlafen und ausgeglichen. Und ich fühlte mich sogar gut. Die Gedanken an Dylan vertrieben wenigstens ein Stück meiner Trauer und Ängste. Vielmehr war es jedoch der Gedanke an seine Art, die der von Rose so verdammt ähnlich war. Doch ob sie ihn wiedersah und überhaupt wiedersehen wollte, das stand noch in den Sternen.

Da es Sonntagmorgen war, war das Café recht gut besucht, das sie sich aussuchte. Ich suchte mir einen freien Platz auf der Terrasse und bestellte beim Kellner das übliche Frühstücksmenü. Croissants, Butter… Marmelade, Honig… sie stellten immer etwas anderes zusammen. Ein weiter Grund, warum ich hier gerne frühstückte. Außerdem sah ich mir gerne die Menschen an, die ebenfalls jeden Sonntag regelmäßig hierher kamen. Unterhalten tat ich mich selten mit ihnen, warum wusste ich nicht. Ich war kein sonderlich kommunikativer Mensch. Im Museum übernahm ich ja auch nicht das Führen durch die Ausstellungen, sondern das Ausstellen selber. Ich war noch nie ein Mensch gewesen, der viel geredet hatte. Ähnlich wie meine Mutter hatte ich nicht viele Freunde. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich keine Freunde brauchte, solange ich meine Familie hatte. Und was hatte mir diese Einstellung gebracht? Nichts. Jetzt saß ich hier. Vollkommen alleine, ohne irgendjemanden. Ich fühlte sich vollkommen allein gelassen. Und wieder fing ich an, an den Mann von letzter Nacht zu denken…

Und schon im nächsten Moment schüttelte ich den Kopf und ich spürte, wie schon wieder diese Wut in ihr hoch stieg. Ich hatte soeben meine Tochter verloren und vor nicht allzu langer Zeit auch noch meinen Mann! Was bildete sich dieser Typ überhaupt ein? Er konnte doch nicht einfach hier rein spazieren, so umwerfend tolle Augen haben, mit dem Funkeln, was mich so sehr an die Augen meiner Tochter erinnerte und sich dann bei mir einschleimen! Ich spürte, wie ich richtig wütend auf den Typen wurde. Erst da fiel mir ein, dass er mir gestern ja meine Brieftasche zurück gebracht hatte - Glücklicherweise, wie ich dachte -, aber vielleicht hatte er ja irgendetwas raus genommen. Vielleicht war es irgendein Trick! Erst verführte er die Frauen, um ungestört zutritt zu ihrem Haus zu machen. Zuvor klaut er ihnen die Brieftasche, um zu gucken, ob er die Kreditkarten und die Pin klauen müsste, oder ob sie so reich war, dass sie kostbaren Schmuck in der Wohnung hatte, wo er die Kreditkarte gar nicht unbedingt hätte klauen müssen, weil der Klunker ihm schon genug war… „Was reimst du dir da jetzt schon wieder zusammen, Kathrin? Bestimmt hast du in deinem Wahn einfach deine Brieftasche liegen gelassen und er war so freundlich und hat sich mitgenommen!“, ermahnte ich mich stumm. Aber… war er nicht vor mir gegangen? Wie sollte er denn dann meine Brieftasche gesehen haben? War er etwa noch ein Mal zurück gekommen? Dies Mal war es kein Gefühl von Wut, sondern eher von Peinlichkeit. Er war noch ein Mal zurück gekommen, und hatte sie wahrscheinlich nur noch hektisch, und wie in letzter Zeit öfter mit leerem Blick davon gehen sehen…
In meiner Brieftasche war alles an seinem Platz. Natürlich konnte ich nicht sagen, ob nicht ein paar Cent fehlten, aber momentan spielte Geld eh keine Rolle… Ich dachte noch ein Mal an gestern Abend zurück, wie ich ihm, ohne jeglichen Grund die Tür vor der Nase zu gedonnert hatte. Wieder beschlich sie ein Schamgefühl… wie dumm war das denn gewesen? Aber ich hatte es nicht mehr ertragen können. Dieses Funkeln der Augen – wie Rose-. Doch ich hatte gemerkt, dass, als ich die Türe zugeschlagen hatte, etwas fehlte. Es hatte sich auf ein Mal so leer angefühlt. Natürlich fühlte es sich schon die ganze Zeit leer an, so ohne Tochter, einer anderen Person im Haus, aber nach dem sich die Türe geschlossen hatte, war das Gefühl der Leere und der Einsamkeit eindeutig gewachsen.
Als ich mein Frühstück, welches ich bestellt hatte, aufgegessen hatte (es war nur ein Brötchen gewesen mit Marmelade und ein Ei zusammen mit einem Kaffee), stand ich auf, legte das Geld auf den Tisch und ging dann nach Hause. Ich wollte mich noch Mal ein wenig meiner Arbeit widmen. Vielleicht würde ich ja heute wenigstens ein kleines Stück weiter kommen. Doch ehe ich auch nur saß, klingelte das Telefon. Meine Chefin, Claire, war am Apparat. Mit ihrer piepsenden Mausestimme trug sie langsam ihr Anliegen vor:

- „Hi, Kathrin!“ –

- „Hi, Claire, was gibt’s?“

- „Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden, Kathrin! Wir alle bedauern den Tod deiner Tochter, und wir alle sind zu dem Entschluss gekommen, dass es besser für dich wäre, wenn du vielleicht mal eine Auszeit nimmst, ich meine berufstätig. Wir haben dich in den vergangenen Tagen seit dem Verlust von Rose beobachtet. Diesmal scheint es noch schlimmer zu sein, schlimmer als bei Mike und selbst das können wir verstehen. Wir…“

- „Ihr wollt was, Claire? Ich wollt mir verbieten zu Arbeiten? Aber… Aber… Außer dem Job ist mir nichts mehr geblieben! Du kannst nicht von mir verlangen auch noch das aufzugeben! Ich...“.

Ich merkte, dass schon wieder eine solche Wut in mir aufstieg, dass meine Stimme bebte. Ich musste aufpassen, dass ich nicht wieder anfing zu kreischen. Woher kam diese plötzliche Aggressivität? Sonst war ich doch immer freundlich, egal zu wem. Ob er jetzt unfreundlich zu mir war oder nicht…

-„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass wir dir deinen Job wegnehmen wollen. Wir, und jetzt lass mich bitte zu Ende reden, wollten dir lediglich eine Pause geben. Zumindest so lange, bis man wieder vernünftig mit dir arbeiten kann!“

Während sie sprach hörte ich die Trauer, die in ihrer Stimme mit schwang. Claire und ich waren vor dem Tod meines Mannes, sehr gute Freundinnen gewesen. Sie war eine der Wenigen, die ich noch zu mir und meiner Familie durchgelassen hatte. Vielleicht auch, weil sie meine Chefin war. Sie und ich, wir hatten damals viel mit einander gemacht. Aber dann starb mein Mann, und wir trafen uns immer weniger. Dann zog sie an das andere Ende des Viertels, so dass wir nun, um uns zu besuchen ins Auto steigen mussten. Dadurch wurde es noch weniger, bis wir uns schließlich nur noch auf de Arbeit trafen und ab und zu in der Kaffeepause ein paar Wörter wechselten. Ansonsten waren unsere Gespräche rein beruflich. Es fiel ihr anscheinend schwer mich so „gehen“ zu lassen. Entweder, weil ich für sie eine gute Arbeitskraft gewesen war, oder weil ich ihr wirklich noch ein kleines Bisschen am Herzen lag – wobei ich ersteres für zutreffender hielt.

- „W... Was… Was soll das heißen „vernünftig mit mir Arbeiten“? Ich mache doch alles so, wie du es mir aufgetragen hast, oder war in meinen Aufzeichnungen etwas falsch? Das hole ich nach! Versprochen, aber Bitte! Nehm mir meinen Job nicht weg!“.

Ich hörte Claire am anderen ende durchatmen.

- „Kathrin! Du weißt genau so gut wie ich, dass es dir gerade nicht sonderlich gut geht. Wenn du dich wieder im Griff hast, melde dich bei mir. Ich werde dich dann wieder einstellen, wenn möglich sogar wieder auf deinem alten Arbeitsplatz in derselben Position, okay?“

Ich schüttelte den Kopf.

- „Nein, ich will jetzt weiter Arbeiten! Ich hab mich wieder im Griff. Ich habe selber bemerkt, dass ich Momentan nicht so gut bin, aber ich werde wieder die alte sein. Ich werde wieder alles gründlich machen! Ich werde nichts mehr falsch machen, oder vergessen, Versprochen!“ Vor meinem geistigen Auge sah ich meinen Job jedoch schon dahinschwinden. Ade, lieber Job! Ade, Leben! Ade, Welt! Wenn Claire mir jetzt auch noch meinen Job wegnehmen wird, habe ich nichts mehr, was mich am Leben hält, nichts mehr für das es sich lohnt zu leben… -. - „Kathrin… Kathrin, nein. Wir können es uns nicht leisten, einen Mitarbeiter in deiner Position zu haben, der nur mangelhafte Arbeiten abliefert. Ich habe dir fast zwei Monate gegeben um wieder so zu dir zu kommen, dass du eigentlich wieder hättest vernünftig Arbeiten können. So geht es nicht. Wir schicken dir umgehest dein restliches Gehalt zu. Deine Überstunden werden dir ebenfalls ausgezahlt. Die Kündigung wird bei deinem Gehaltscheck mit inbegriffen sein. Es tut mir leid. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du mit jemandem reden magst, meine Privatnummer wirst du ja wohl haben. Mach´s gut!“

Damit legte sie auf. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass sie grade wirklich aufgelegt hatte! Sie hatte mir einfach meinen Job gekündigt, mir gesagt wie leid das alles ihr täte, mir gesagt dass ich immer mit ihr reden könnte – als Freundinnen wohl bemerkt - und hatte dann einfach aufgelegt! Ich ließ das Handy sinken, sackte zusammen auf meinem Stuhl, legte die Hände auf das Gesicht und fing an zu weinen… Mitten im Café. Vor allen Leuten. Und während ich das tat, bemerkte ich gar nicht, wie sie mir gleichgültige, bis sorgenvolle Blicke zuwarfen.

 

Während ich dieses Morgendliche Drama durchlebte war Dylan ganz woanders. Nicht nur mit den Gedanken… Er war in einem Waldstück etwas außerhalb von New York. Die ganze Nacht hatte er seinen Bruder vollgetextet. Er konnte diese Frau nicht mehr vergessen. Es war ihm noch nie passiert, dass eine Frau ihm einfach so die Tür vor der Nase zu geschlagen hatte. Eigentlich sollte er sich eine andere suchen, die ihn nicht so respektlos behandelte. Das war ihm in seinem gesamten Leben noch nicht passiert, und er lebte schon lange genug… Aber vielleicht war es ja eben das, was ihn zu dieser Frau so hinzog. Sie war etwas Neues. Etwas Unbekanntes. So etwas hatte er noch nicht erlebt, es würde wohl etwas Neues werden. Wer weiß, vielleicht würde sie letzten Endes ja doch… nein, so weit wollte er nicht denken. Schließlich war er doch hier im Wald, um sich gerade von dem Gedanken abbringen zu lassen…
Als er fertig war, ging er zurück nach Hause, um sich umzuziehen. Dann wollte er noch ein wenig in die Stadt gehen, wer weiß, vielleicht würde er Kathrin ja wieder sehen. Sein Weg führte ihn erstmals geradewegs zu dem Café wo sie sich gestern schon getroffen hatten, aber hier war sie nicht. Doch auch dies schien ihm nicht sonderlich viel auszumachen. Schließlich wusste er ja wo sie wohnt, er könnte sie also jederzeit besuchen. Aber nach der Pleite von gestern würde er sie so schnell wohl doch nicht mehr in ihrem Heim besuchen wollen. So schlenderte er die Straßen entlang. Vielleicht würde das Schicksal die beiden ja auch einfach so zusammenführen. Er blieb an einem Tabakladen stehen. Im Schaukasten, der draußen vor der Tür stand, lagen verschiedene Zeitungen aus. Auf der Titelseite der größten war die Schlagzeile in riesigen Lettern abgedruckt:

 

„Frau kaltblütig ermordet! Täter ließen es wie einen Vampirangriff aussehen!“

 

Diese Schlagzeile erweckte seine Aufmerksamkeit. Abrupt blieb er stehen und hob beide Augenbrauen. Er kramte schnell ein paar Münzen aus seiner Tasche und legte sie dem alten Mann an der Kasse wortlos auf den Tresen. Dann nahm er sich die Zeitung und verließ fluchtartig den Tabakladen. Das roch ja ekelhaft darin! Alles voller Qualm von diesen Nikotinsüchtigen! Er hatte ein einziges Mal im Leben diese Dinger (Zigaretten, für alle, die es noch nicht verstanden haben) ausprobiert. Des war eine Erfahrung gewesen, die er so schnell wohl nicht mehr vergessen wird. Ekelhaft! Er suchte sich eine Bank im Park und begann zu lesen:

 

New York. Gestern Morgen wurde eine Frauenleiche in einer Seitenstraße auf der St. Paul-Road gefunden. Ein Passant fand sie, als er den Müll raus bringen wollte. Laut Zeugenaussage lag sie lag in ein paar Müllsäcken. Anscheinend hatte der Täter sie nach dem er sie ermordet hatte achtlos dort hinein geworfen. Die junge Frau wurde noch nicht identifiziert. Höchstwahrscheinlich arbeitete sie als Model, denn in ihrer Handtasche fand man einige Adressen guter Model-Fotografe. Das seltsame jedoch war, dass man keinen Ausweis oder eine Karte finden konnte. Es war zwar eine Geldbörse vorhanden, aber nichts, womit man hätte sie identifizieren können. Die Polizei nimmt an, dass der Täter jegliches Beweis- und Identifiizierungsmaterial mitgenommen hat. Nach einer Befragung von Inspektor Sumner wurde klar, dass der Mörder es wohl wie einen Vampirangriff aussehen lassen hat (mehr zum Vampirismus auf Seite 3). Denn das Opfer hatte als einzige Verletzung, die letztendlich zum Tod führten, zwei kleine Löcher, genau auf der Halsschlagader erlitten. Sie muss binnen weniger Minuten an Verbluten gestorben sein. Bis jetzt gibt es noch keine Hinweise darauf, was das Mädchen in dieser abgelegenen Seitenstraße, wo es eigentlich nur Müllcontainer der umliegenden Häuser gibt, suchte, oder warum sie zum Opfer wurde. Ebenfalls gibt es keinen einzigen Hinweis auf den Täter. Wenn jemand etwas beobachtet hat, sollte er sich bitte bei der Polizei melden.

 

Dylan schluckte. Dann riss er sich zusammen. Nein, das war albern. Er überflog die anderen Titel. Doch dort war nichts Besonderes. Ein neues Eiscafé hatte eröffnet – vielleicht würde er ja da Kathrin finden - eine alte Dame suchte ihre Katze, Der Zoo würde bald neue Tiere haben… Er wollte die Zeitung schon wieder in den Müll schmeißen, als er den erwähnten Artikel über Vampirismus sah, er schlug die Beine übereinander, raffte die Zeitung und begann auch diesen Artikel mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen zu lesen:

 

Vampirismus, ein Phänomen was uns schon seit Jahren fasziniert!

Der Vampirismus ist eine Mythe, die uns schon seit Jahrzenten interessiert. Es gibt mehrere Dutzend verschiedene Legenden. Jede erzählt alles ein wenig anders. Aber eins ist immer klar. Vampire sind Nachtwesen und ernähren sich von Menschenblut. Sie sind kalkbleich und können nicht in die Sonne, da sie sonst verbrennen. Sie haben einen atemberaubenden Charme, mit dem sie alles und jeden in ihren Bann ziehen können und haben eine ebenso ist er unglaublich stark. Natürlich sehen sie auch noch unglaublich gut aus. Doch das wichtigste ist natürlich die Unsterblichkeit Es gibt viele Filme in denen Vampire verschieden dargestellt werden. Doch meist sind es Männer die ausgesprochen sexy sind. Mit ihrem Charme umgarnen sie alle Frauen und diese verfällt sofort in ihrem Bann und würde alles dafür tun, um bei ihm zu sein. Dann, wenn der Vampir Hunger hat, beißt er der Frau in den Hals, um genauer zu sein, in die Halsschlagader und saugt sie aus. Zum Vampir werden kann man nur, wenn der Vampir einen Blutaustausch mit dem jeweiligen Opfer macht. Filme und auch Bücher faszinieren de Menschenwelt immer wieder aufs Neue. Sie werden immer wieder neu dargestellt. Mal freundlich, nett und zuvorkommend, mal zerstörerisch, gierig und wild. Meist werden diese Wesen auch mit dem Hass gegen sich selbst dargestellt. Denn, so sagen es viele Mythen, ein Vampir wird irgendwann in seinem langen Leben ein Mal eine Frau finden, der er nicht wiederstehen kann. Eine Frau, der er niemals Schaden zufügen kann. Eine Frau, bei deren Anblick sein Beschützerinstinkt erwacht. Genau in diesen Filmen ist der Betroffene erstmals vollkommen hoffnungslos, weil er eben diese Frau noch nicht gefunden hat... Wenn wir diese Bücher dann lesen, bekommen die meisten immer mehr den Wunsch, selber diese Frau zu sein… denn, wer hätte nicht gerne einen unglaublich starken und attraktiven Mann, der einen zur Unsterblichkeit verhilft und einen buchstäblich für immer lieben wird?
M.Stuart, New Yorker
– Stadtanzeiger

 

Laut lachend wirft Dylan die Zeitung weg. Er kann sich gar nicht mehr einkriegen vor Lachen. Was manche Menschen so glauben. Er lacht so laut und schallend, dass manche Parkbesucher ihn komisch von der Seite anschauen. Er steht auf und verlässt, immer noch laut glucksend den Park, während einige Passanten ihn ungläubig anstarren und eine Mutter ihr Kind zurückhält, das gerade in seine Richtung rennen wollte. Dylan wurde mit einem bösen Blick bedacht – doch er merkte es nicht einmal. Das musste er seinem Bruder erzählen, so ein Mist. Was manche Menschen glauben! Wieder muss er grinsen und vergessen ist die Suche nach Kathrin… (R)