Zum Gästebuch

Startseite

Über die Autorin

Gedichte

Romane

Texte

Kurzgeschichten

Songtexte

Neues:

Unser Buch

Schwer

Sie

Wir II

 

Button
Banner

Meine Freunde, mein Leben und ich
oder: “Wenn du ich wärst, wer wärst du dann?

Vorwort |Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 | Kapitel 6 | Kapitel 7 | Kapitel 8 | Kapitel 9 | Epilog

Kapitel 2

Überfällige Postboten

Ich war verdammt blass. Ja, beinahe leichenblass! Wie immer, nur noch etwas extremer. Ich hätte ohne Probleme bei „Buffy“ als Vampir durchgehen können – und das ohne mich schminken zu müssen. Das blonde, heute mal richtig lockige Haar (feuchtes Wetter) hatte ich irgendwie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, damit mir die Haare nicht ständig vor der Nase hingen. Die Vierzehnjährige im Spiegel hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, sodass sie allmählich weiß wurden. Leere blaue Augen blickten mich an und ich starrte ebenso leer zurück, ehe ich mich von meinem Spiegelbild abwendete. Seufzend legte ich eine Hand an die schmerzende Schläfe und schüttelte den Kopf… als könnte ich damit die Kopfschmerzen loswerden. Es war ein langweiliger, öder Tag gewesen. Also ein Tag wie jeder andere in meinem Leben. Einem Leben, das ich hasste. Abgrundtief. Und dieser Abgrund war verdammt tief! Ich konnte nicht umhin die Badezimmertür hinter mir zu zuschlagen, so laut wie es nur ging. Ausnahmsweise Mal nicht, um meine Wut allen anderen Familienmitgliedern zu zeigen, sondern um meinem Spiegelbild zu verbieten mir jemals wieder zu begegnen… Als ob das funktionieren würde.

Ich war gerade heim gekommen, es war Mittwoch und meine Eltern waren nicht zuhause. Wie jeden Mittwoch hieß es für mich „Langeweile schieben“, denn das ist vermutlich der einzige Tag in der Woche, in der ich nichts zu tun habe. Gar nichts. Mit einem Gesicht, das selbst mit dem meines Physiklehrers hätte konkurrieren können packte ich meine Schultasche und stapfte die Treppe hinauf. Nach genau sechzehn Stufen (oh wie oft hab ich die als kleines Kind gezählt, nur um mich zu vergewissern, dass ich mich beim letzten Mal nicht verzählt habe…) und zehn weiteren Schritten stieß ich meine Zimmertür auf und pfefferte als Allererstes meine Tasche neben den Schreibtisch. Mit dem Fuß betätigte ich den Knopf meines PCs, der mit einem mehr oder weniger leisen Surren hochfuhr. Mit dem anderen Fuß kickte ich den Schreibtischstuhl zurück und ließ mich letztendlich darauf fallen. Das Gesicht in den Händen vergraben wartete ich darauf, dass das herzallerliebste Willkommensklingeln von Windows mich aus meinen Gedanken holen würde. Jeder Arzt hätte mir dringend geraten nicht auf irgendwelche Bildschirme zu schauen, wenn es mir, inklusive meinem Kopf, dermaßen beschissen geht – doch auf die hör ich grundsätzlich nicht. Ich meine, die verbieten einem ja selbst Nutella, denn da ist ja viel zu viel Fett drin, das man zwei cm dick auf eine Scheibe Toast schmiert. Außerdem sagen sie mir immer wieder, dass ich mehr Obst und Gemüse essen soll, damit die dunklen Ringe unter meinen Augen verschwinden, dass ich mehr an die frische Luft gehen soll, damit ich nicht mehr aussehe wie eine Untote… Ja und? Noch vor dem Windowsgruß klingelte es an der Haustür. Entnervt trat ich meine Schultasche aus dem Weg (verdammt noch mal, welcher Vollpfosten hatte die denn dahin gelegt?!) und eilte die Treppe hinab. Das kanarienvogelgelbe Auto in unserer Einfahrt verriet schon alles. Der Mann vor der Haustür hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck, sah ungeduldig zu mir hinüber und trat von einem Bein aufs andere. Freundlich lächelnd öffnete ich den Tür, begrüßte den gelb-schwarz gekleideten Mann mit der Hornbrille und nahm drei Kilo Kataloge entgegen und trug den Stapel in die Küche, nachdem ich den Postboten mit einem freundlichen: „Schönen Tag noch“, verabschiedet hatte. Ich hatte mich gerade umgedreht, da verdrehte ich die Augen und betrachtete den Putz an der Decke und mein Lächeln verschwand. Ein weiterer Grund, weshalb ich mein Leben hasse. Ich konnte dankend darauf verzichten, dass jeder mich fragt, was denn mit mir los sei, wenn ich leichenblass mit dunklen Ringen unter den Augen und Trauermiene im Türrahmen stehe. Also setzte ich jedes Mal dieses Lächeln auf. Dieses kalte, rein geschäftliche Lächeln, das man aufsetzt, wenn es einem mies geht. Mein Lieblingslächeln.

Mit den Katalogen und einigen Briefen unterm Arm spazierte ich in die Küche und knallte den Quelle Katalog als erstes auf das Eichenholz des Esstisches. Genervt schnaubend pfefferte ich einen Katalog von Galeria Kaufhof neben eine PC-Zeitschrift meines Vaters und betrachtete dann die übrig gebliebenen Briefe, die ich nacheinander auf den Tisch warf. Eine Rechnung, noch eine Rechnung, eine verspätete, längst überfällige Postkarte und ein falsch zugestellter Brief für die Nachbarn. Na herrlich. Den würde ich wohl nachher rüberbringen müssen… Wenn ich das richtig erkannt hatte, dann war es eine Mahnung und die Nachbarn würden sich mit Sicherheit bedanken, dass ich ihnen den (mit Sicherheit unglaublich willkommenen) Brief zustellen würde. Wütend knallte ich den Hinterkopf gegen die Stuhllehne des Stuhls, auf dem ich mittlerweile saß und sah zum Himmel hinauf (mehr zur Decke, aber ihr wisst, was ich meine). „Gott, was hab ich falsch gemacht in meinem verdammten Leben?“; fragte ich und erinnerte mich selbst daran, dass ich eigentlich gar nicht an Gott glaubte.

 

Hab ich eigentlich erzählt, dass es etwas Positives an diesem Tag gibt? Nein? Heute war Zeugnisausgabe. Und für jeden von euch bedeutet der Schnitt 2,0 vermutlich eine Tanzeinlage… Also ist es etwas positives, hm? Wenigstens geben mir die Buchstaben auf einem weißen Blatt Papier das Gefühl, dass ich wenigstens irgendetwas im Griff habe. Wenn auch nicht mein Leben…

 

Keine zehn Minuten später klingelte ich bei den Nachbarn, Hausnummer 73. Meine beste Freundin wohnte in dem Haus, Yuki – der einzige Grund vemutlich, warum ICH den gottverdammten Brief hierher brachte. In letzter Zeit hatte der Postbote das Ganze irgendwie nicht mehr so ganz im Griff. Aller Offensichtlichkeit nach kam auch der allmählich ins Alzheimer-Alter… Plötzlich öffnete ein kleines, blondes und vermutlich übergewichtiges Mädchen die Haustür, doch kaum hatte ich sie wahrgenommen sprang ein schwarzes Pelzknäuel mich an und warf mich dabei beinahe zu Boden. „Johnny!“, kreischte ich erschrocken und versuchte den schlabbernden Labrador-Retriever von mir weg zu kriegen. Der Mischlingsrüde war ein Mysterium für sich. Er gehorchte ausschließlich seinem Frauchen, ignorierte die Befehle jedes anderen und hatte ebenso nur Respekt vor dieser einzigen Person. Alle anderen… wurden so lange abgesabbert, bis sie dermaßen durchnässt waren, dass sie problemlos das Mädchen aus Scary Movie 3 spielen könnten. Hilflos versuche ich den Brief in Sicherheit zu bringen – zum Glück nahm das süße kleine, blonde Mädchen mir den Umschlag ab und zerrte den Hund zurück ins Haus. „Böser Johnny!“, sagte sie tadelnd und wackelte mit dem Finger vor seiner Nase herum. Ein erneutes Mal an diesem Tag ein Grund für mich die Augen gen Himmel zu richten und mir zu wünsche, ich wäre tot. „Also dann, äh… tschau Kate, sag deiner Schwester sie soll mal anrufen“, sagte ich und kratzte mich am Kopf. Das unfreundliche kleine Wesen nickte nur, sagte „jo“ und knallte mir die Tür vor der Nase zu. War die ganze Welt plötzlich gegen mich? „Ja kleines Dummerchen“, sagte meine innere Stimme und innerlich brüllte ich sie an: „KLAPPE, so was nennt man eine rhetorische Frage!“. Den Blick zu Boden gerichtet – einfach weil ich es immer tat – ging ich die zwanzig Meter zurück zu unserem Haus und stupste die immer noch offen stehende Haustüre auf. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es exakt 14.56 (+50 Sekunden) Uhr war. Eine Stunde noch, bis meine drei Jahre jüngere Schwester zuhause sein würde und noch genau zehn Sekunden, bis meine Mutter hinein kommen würde. Doch das wusste ich um erst exakt um 14.57 Uhr… na gut, das interessiert euch vielleicht weniger, jedenfalls war ich um 14.57 bereits wieder in mein Zimmer vor meinen PC geflitzt und war dabei zu beschließen, dass ich ICQ dringend aus dem Autostart nehmen sollte. Vier blinkende Balken in der Statusleiste und nur einer davon sprach mich wirklich an, als ich den Namen darauf las. Während meine Mum den Schlüssel im Schloss umdrehte stürzte ich mich auf die Tastatur, ignorierte drei der vier Fenster und wendete mich dem orange-gelb blinkendem „Christian“ zu…

 

Mittwoch, 28. Juli 2009

 

Liebes Tagebuch – ja, ich weiß, dass ich seit MONATEN nicht mehr auf deine Seiten gekleckst hab. Jetzt sei aber still du hör zu – argh Moment, ich muss erstmal Abendessen, meine Mum ruft… klasse. Nicht weglaufen!

 

„Jaha, ich komme!“, schrie ich die Treppe hinab und klappte seufzend das Buch zusammen, das ich wenige Minuten zuvor auf meinen Schoß gelegt hatte. Im nächsten Moment trabte ich auch bereits die Treppe hinunter um mich zum „gemütlichen“ Abendessen mit meiner Familie zu begeben.

 

Elf Minuten hab ich gebraucht… elf! Na dann, hier bin ich wieder. Dich wird sicherlich wahnsinnig interessieren, dass ich eben ne Stunde lang mit dem zukünftigen Vater meiner Kinder gesprochen hab. Nein? Och man. Was red ich hier eigentlich mit einem Blatt Papier? Wie tief muss man sinken?! Ernsthaft, ich bin reif für die Klapse. Ich hab mich den ganzen Tag gelangweilt und noch nicht einmal Hausaufgaben gemacht. Stattdessen hab ich rumgelungert und gewartet, dass Christian online kommt. In der Schule trau ich mich ja nicht mit ihm zu reden… Morgen mehr, bin grad schreibfaul.

 

Wenn du wissen möchtest, wie der ganze Mist weiter geht, dann musst du schon weiter lesen, denn ich schreibe nie besonders aufschlussreich und detailliert in meine Tagebücher… und ich unterschreibe meine dämlichen Einträge nicht auch noch alle. Es ist doch irgendwie logisch, dass nur ich, ich allein in mein Tagebuch rein schreibe, oder? Welcher Penner liest die süffisanten Bemerkungen zu Lehrern, die wunderschönen Gedanken an Jungs und die verachtenden Kommentare zu Eltern denn außer uns zweien? Keiner. Jedenfalls nicht freiwillig.

Nachdem ich das Tagebuch mitten auf meinen Zimmerboden gelegt hatte betrachtete ich zunächst das Chaos auf dem Parkett. Ich hatte grundsätzlich immer einen Platz auf den Boden für saubere Klamotten, einen für schmutzige, einen für Schulsachen und einen für Haargummis. Seufzend rollte ich mich in meine Decke ein und gähnte herzhaft. Wer tut das um Mitternacht nicht? Während ich an dem Loch in meinem Schlafanzugärmel spielte starrte ich die Decke an und wartete darauf, endlich einzuschlafen.