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Vorwort | Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 (folgt)

Kapitel 1

„Erzählen sie mir, wie sie sich momentan fühlen, Mrs Evans. Egal was sie sagen. Es bleibt streng vertraulich! Vielen Menschen geht es besser, wenn sie mit jemandem geredet haben. Vor allem, wenn es jemand ist, den sie nicht kennen.“ Warum hatte ich mich nur dazu durchgerungen zu einem Psychiater zu gehen? Ich hatte noch nie an so einen Quatsch geglaubt. Aber reden konnte ich doch vor Roses Tod auch immer. Und vor allem viel. Doch sie hatte ein tiefes, schwarzes Nichts hinterlassen, das mich täglich ein wenig von innen heraus aufzufressen begann. Ähnlich hatte ich mich nach dem Tode meines Mannes gefühlt, aber damals hatte ich Rose als Stütze. Immer wenn ich sie angesehen hatte, sah ich in seine Augen. Seine wunderschönen, nussbraunen Augen. Vielleicht war das der Trost gewesen. Aber wen hatte ich jetzt? Wer konnte mich jetzt an meine Tochter oder meinen Mann erinnern? Ein leises Räuspern des Mannes, der mir gegenübersaß, mit einem Klemmbrett auf den Knien. Genau so, wie man es in den Filmen immer sah. Genauso lag ich auf einer dieser Liege, und kam mir ziemlich bescheuert dabei vor. Seit dem Unfall mit meiner Tochter hatte ich kein Wort mehr mit Layla gewechselt. Warum auch? Sie war die Person gewesen, der ich meine Tochter anvertraut hatte, sie war die Person gewesen, die einst mein Vorbild gewesen war, zu der ich aufgesehen hatte als kleines Mädchen. Sie war die Person gewesen die ich geliebt hatte, mit der ich mich zusammengesetzt hatte, um die Hochzeit und die Taufe zu Planen. Sie war die Person gewesen, der ich blind vertraut hatte. Und, sie war die Mörderin meines Kindes! Und dieser Gedanke stellte alles andere in den Schatten. Meine Freundinnen hatten sich anfangs liebevoll um mich gekümmert, aber ich war wohl so abweisend zu ihnen gewesen, dass die Besuche immer weniger wurden, bis sie irgendwann gar nicht mehr kamen. Ich konnte ihnen nichts verübeln. Ich war wie in Trance, immer darauf erpicht eine Möglichkeit zu finden, wie Rose wieder zurück kommt. Aber bis heute hatte ich noch keine Möglichkeit gefunden. Ein weiteres Räuspern des Mannes ließ mich endgültig meine Überlegungen beenden und ich fing an alles zu erzählen. Angefangen bei Mikes Tod.

 

Layla Evans saß an ihrem Küchentisch und starrte aus dem Fenster. Außer dem regelmäßigen Heben und Senken ihres Brustkorbes gab es kein Anzeichen dafür, dass sie noch am Leben war. Nachdem ihre Tochter vollkommen in Trance wieder nach Hause gefahren war, hatte sie sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Es wunderte sie nicht, schließlich hielt ihre eigene Tochter (und sie selbst sich auch) für die Mörderin ihrer Tochter. Sie wusste, dass sie diesen Fehler nie wieder rückgängig machen könnte, denn Rose war Tod. Ihr Herz würde nie wieder schlagen. Nie wieder würde ihr Lachen aus dem Garten erklingen und nie wieder würde sie trotzig am Tisch sitzen und nichts essen wollen, weil ihre Mutter wieder zu spät kam. Mit sieben Jahren konnte man ja noch nicht begreifen, dass man nicht immer pünktlich kommen konnte, wenn man es im Job mit Ausstellungen und Antiquariaten, die sorgfältig verpackt und weggeschlossen werden mussten zu tun hatte. Die alte Frau wusste, dass wenn sie weiterhin nichts Essen und auch nichts Trinken würde, dies ihr schwaches Herz nicht länger mitmachen würde. Also stand sie auf, um etwas zu trinken…

 

Der Mann nickte nur andauernd, als ich ihm alles schilderte. Allmählich hatte ich das Gefühl, er dachte, ich würde jeden Moment den Verstand verlieren. Anscheinend musste ich wohl wirklich schrecklich aussehen. Ich hatte kein Auge mehr zu gemacht. Und nicht viel gegessen. Ebenso wenig getrunken. ich hatte tiefe Ringe unter den Augen, die so aussahen, als hätte ich mich geprügelt. „…und an alldem ist nur diese Frau Schuld! Ich hatte ihr mein Vertrauen gegeben. Ich hatte ihr vertraut, dass sie auf eine Siebenjährige aufpassen könnte! Und sie merkt es noch nicht ein Mal, wenn das Kind einfach so aus der Haustüre geht!“ Wieder nickte der Mann. Dann schrieb er sich etwas auf seinen Notizblock und fragte: „Wie alt ist ihre Mutter, Mrs Evans?“ Ich schnaubte. „Sie ist 65“, und wieder schrieb er sich etwas auf seinen Notizblock. „Sehen sie. Mit einem so beträchtlichen Alter, lässt das Gehör ein wenig nach. Man kann nicht mehr alles mitkriegen und vor allem nicht das Öffnen einer Tür. Seien sie doch ein wenig milder zu ihrer Mutter. Sie nimmt das alles bestimmt auch sehr mit. Und wenn sie dann auch noch verschwinden und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, wen hat sie denn dann noch?“. Wieder schnaubte ich, was bildete sich dieser Vogel überhaupt ein? „Es ist mir vollkommen egal was sie macht! Sie ist die Mörderin meines Kindes, ob schlechtes Gehör oder nicht! Sie hatte die Verantwortung! Meinetwegen kann sie in ihrer kleinen Hütte jämmerlich verrecken! Dann kann sie wenigstens keine kleinen Kinder mehr in den Tod schicken!“ „ Ja, aber sie ist doch ihre Mutter! Wie kann ein Mensch seine eigene Mutter nur so hassen? Sie hat es doch nicht absichtlich gemacht! Es. War. Ein. Unfall!“ Das war zu viel. Ich spürte wie der Zorn in mir aufflackerte. „ Was fällt Ihnen eigentlich ein? Es ist meine Sache ob ich mit dieser Mörderin reden will oder nicht! Sie sind ein Psychiater und kein Pfarrer, der mir helfen soll mich von meinen Sünden zu befreien!“, kreischte ich. Ich versuchte meine Stimmlage wieder normal zu kriegen, aber ich war zu wütend um irgendwas zu ändern. Ich nahm meine Handtasche und meinen Mantel, die an der Garderobe hingen und stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer. Weg von diesem Kerl der sich Psychiater nennt. Das Geld, was ich diesem Betrüger noch schuldete würde ich ihm dann überweisen. Nie wieder würde ich ihm unter die Augen treten!

Auf der Straße angekommen, atmete ich ein Mal tief durch. Schon besser. Ich rannte immer weiter, bloß weg von diesem abscheulichen Gebäude. In der Innenstadt hörte ich auf zu rennen. Ich sah ein Eiscafé und setzte mich auf einen der Stühle in eine Ecke. Warum waren alle Menschen denen ich in den letzten Tagen begegnete so merkwürdig? Auf Roses Beerdigung vor zwei Tagen waren lauter Menschen gewesen die ich nicht kannte. Sie alle trugen schwarze Kleider, welche sehr nobel und teuer aussahen an. Durch diesen Kleidungsstil hatten sie alle sehr blass gewirkt. Fast krank. Aber, im Grunde sah ich nicht besser aus. Layla war auch da gewesen, natürlich. Daher nehme ich an, dies waren alles Freunde von ihr. Aber sie waren alle so jung. Und ich fand, sie waren, trotz ihrer Blässe, sehr hübsch gewesen. Aber da ich mit dieser Verräterin nie wieder in meinem Leben sprechen wollte, hatte ich auch mit keinem ihrer Freunde gesprochen, außer sie waren zu mir gekommen und hatten mir ihr Beileid ausgesprochen. Aber diese Konversation war auch nach einem: „Mir tut der Verlust ihrer Tochter sehr leid.“ „Danke. Sie wird immer einen Platz in unseren Herzen haben!“, beendet. Viele von Roses Schulfreunden waren gekommen, sogar einige Lehrer. Aber diese waren wohl nur da, weil es um eine Schülerin ihrer Schule ging, nicht weil Rose ihnen irgendetwas bedeutet hatte. Es hatte mich verärgert, und ich hätte sie am liebsten weg geschickt, aber ich hatte nicht genügend Kraft gehabt mich über irgendetwas aufzuregen. Daher waren sie dabei geblieben. Ich wollte Rose nicht sehen, wie sie da im Sarg lag. Lieber wollte ich sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie das letzte Mal lebend gesehen hatte. Als ich sie zu Layla gebracht hatte. Sie hatte mich angelächelt und mich ermahnt, ja nicht zu spät zu kommen. Und ich kam natürlich zu spät. Ich musste noch diese Vase aus dem 16. Jahrhundert auspacken, notieren und in einen sicheren Glaskasten stellen. Ich hatte alles so schnell wie möglich gemacht, aber mit Antiquariaten muss man immer sorgfältig umgehen. Wenn Hektik aufkommt, besteht die Gefahr, dass sie runterfallen und beschädigt werden. Und da viele von den Ausstellungsstücken unbezahlbar oder einen Verkaufswert von manchen tausend Euro haben, will man lieber kein Risiko eingehen…

„haben Sie einen Wunsch?“, fragte mich einer der Kellner. Ich schüttelte nur den Kopf. Er sollte bloß weggehen und mich in Ruhe überlegen lassen. Die Schwärze hielt mich immer noch gefangen. Sie nagte immer noch an mir und fraß mich Stück für Stück auf. „Dann muss ich sie leider bitten das Cafe zu verlassen. Ich hoffe das können sie verstehen. Wir haben eigentlich zu wenig Platz und, ja, wenn sie nichts bestellen wollen, würden sie dann bitte gehen?“ Wieder spürte ich, wie die Wut in mir hochstieg. Musste ich vielleicht auch noch eine Aggressions-Therapie machen? Gerade als ich aufstehen wollte, trat ein Mann hinter dem Kellner hervor. „ Hallo Kathrin. Schön das du da bist. Wie ich sehe hast du schon bestellt?“ Ich schaute den Mann nur Fassungslos an. Woher kannte er meinen Namen? Er trug einen schwarzen, langärmligen Mantel und eine dunkle Jeans, die sich perfekt an seine maskuline Figur anschmiegt. Er hatte schwarze, zurück gegehlte Haare und ein markantes, männliches Gesicht. Da er den nun eher den Kellner ansah, als mich, konnte ich seine Augen nicht erkennen. „Nein, die junge Frau hat noch nicht bestellt. Entschuldigen sie bitte die Unhöflichkeit, Mrs. Wollen sie denn jetzt bestellen?“ Der Fremde rückte den Stuhl mir gegenüber beiseite und setzte sich. „Nein, danke ich möchte nichts. Und für dich…?“ Er schaute mich fragend an und mir stockte der Atem. Hatten normale Menschen nicht blaue, braune oder grüne Augen? Seine waren… Türkis! Ich nickte nur monoton. „Limo… bitte.“ Mehr ging nicht. Ich musste einfach in diese fantastischen Augen schauen! Wie konnte ein Mensch nur solche Augen haben?

„Entschuldige bitte, aber ich merkte, dass der Kellner unhöflich wurde, und ich dachte mir, ich setzte mich zu dir. Ich bin übrigens Dylan. Wir haben uns letztens schon ein Mal gesehen. Allerdings nicht unter den besten Umständen, wenn du verstehst was ich meine.“ Um genau zu sein, verstand ich gar nichts. Ich schüttelte den Kopf. „Ich war auf der Beerdigung deiner Tochter. Und noch malst mein Beileid!“ Bei dem Wort „Beerdigung“ zuckte ich zusammen, ließ mir aber ansonsten nichts anmerken. Aber jetzt verstand ich auch, woher er meinen Namen kannte. „Aha. Dann sind sie also ein Freund meiner Mutter, Layla ...?!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Freund deiner Tochter, Rose.“ Diesmal war es an mir, den Kopf zu schütteln. „Ich kenne alle Freunde und Freundinnen meiner Tochter. Und sie ist sieben, da wird sie wohl keine fremden Männer, entschuldige mich für meine unangemessene Ausdrucksweise, kennt. Außerdem wart ihr sehr... viele in diesem Alter. Ich habe keinen von Ihnen gekannt.“ Er sah mich mit zerknirschtem Gesicht an. „Man kann nicht unbedingt sagen „ Freunde“ ihrer Tochter. Wir waren Nachbarn von ihrer Mutter und kannten daher auch sie. Sie war ja sehr oft bei ihr. Aber ich glaube, ihre Mutter kennt uns nicht unbedingt. Manchmal haben wir das Gefühl sie hat ein wenig Alzheimer…“ Ich nickte. Ja, das Gefühl hatte ich auch schon ein Mal gehabt. „Hier, ihre Bestellung, Mrs.“ Der Kellner stellte mir ein Glas Limo auf den Tisch. Dylan zückte die Geldtasche und wollte Bezahlen. „Nein, nein. Ich bezahle“, wehrte ich ab, aber er lächelte nur und gab dem Kellner einen Schein, der nach viel aussah. Der Kellner machte große Augen, als er sagte, der Rest ich Trinkgeld. „Nein, ich bezahle. Schließlich habe ich sie hier so überfallen. Aber, ich muss dann auch wieder weiter, vielleicht sehen wir uns ja noch ein Mal. Tschüss!“ Er stand auf und lächelte mich an, und wieder verlor ich mich fast in seinen Türkis färbenden Augen… Ehe ich ein „Tschüss“ erwidern konnte, war er schon verschwunden. Ich trank schnell meine Limo aus und ging dann auch… (R)