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Meine Freunde, mein Leben und ich
oder: “Wenn du ich wärst, wer wärst du dann?

Vorwort |Kapitel 1 | Kapitel 2 | Kapitel 3 | Kapitel 4 | Kapitel 5 | Kapitel 6 | Kapitel 7 | Kapitel 8 | Kapitel 9 | Epilog

Kapitel 1

Ein Loch in der Decke

„Ruhe jetzt, ich habe eine Auseinandersetzung mit meiner Fantasie!“, erwiderte ich unwirsch und strich mir ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht. Straßenköter-Blonde Strähnen… Ich hatte keine wirkliche Meinung zu dieser Farbe. Ich hasste, mochte sie aber auch nicht. Wir pflegten ein recht neutrales Verhältnis zueinander kann man sagen. Meine beste Freundin Yuki sah mich erstaunt an. Sie hatte schöne Haare! Glatt und schokoladenfarben. Genau mein Ding, allerdings würden die sich auf meinem Kopf wohl eher nicht so gut machen. Wir sind, wie ich gerade feststellen muss, so ziemlich das Gegenteil voneinander. Sie hat von Natur aus eine dunklere Hautfarbe als ich, ihre Augen haben so einen seltsamen braun, grünen Mischton und ihre Haare – na die kennt ihr ja. Zudem sieht sie aus wie ein Zahnstocher. Ja, nicht wie eine Spagetti, sondern wie ein Zahnstocher. Nicht, weil sie spitze Enden hätte oder so, nein, weil sie einfach klein und dünn ist. Ich denke sie kratzt nicht gerade am Magersuchts-Gewicht, aber gut, das ist ihr Ding, nicht meins. So, das war der schöne Teil, kommen wir zu mir: Die Haarfarbe kennt ihr ja schon, dazu diese Locken, die eigentlich eher Wellen sind und tagtäglich machen was sie wollen. Ich bin blass, nahezu leichenblass. Liegt vermutlich daran, dass ich lieber in meinem Zimmer hocke, als draußen herumzuspringen – aber braun werde ich auch bei sengender Hitze nie. Schicksal. Nicht, dass mich das wirklich stören würde. Stören tun mich dagegen diese dunklen Ringe unter meinen Augen… kein Make-Up der Welt kann etwas dagegen tun, sie sind einfach da. Nicht, weil ich unter Schlaf-, sondern weil ich unter Vitaminmangel leide. Obst, Gemüse? Bäh! Nun ja, da wir das geklärt haben… es gibt allerdings auch was, das ich mag an mir. Meine Augen. Nicht, dass ich es ständig gesagt bekommen würde, aber ein, zweimal ist es schon passiert. „Du hast schöne blaue Augen!“. „Ähm, ja, danke“. Soweit die Konversation. Ich hasse es Komplimente zu bekommen. Nicht, dass ich damit überhäuft werden würde, aber wenn es mal passiert, dann fühl ich mich unwohl. Sehr unwohl. Zugegeben, ich erinnere mich gerade nicht an ein solches Ereignis, aber ich bin mir sicher es war schrecklich.

  • „Fertig?“
  • „Hn?“
  • Ich hatte wohl gepennt. Ganz offensichtlich. Yuki seufzte und drehte das Radio lauter. Nickelback… aktuell wohl eine unserer Lieblingsbands. Ansonsten ging unser Musikgeschmack wohl eher auseinander – zumindest meistens. Parallelen existierten dann im Bereich Musical – das war’s auch schon. Aber wir waren Freunde und hatten einige Gemeinsamkeiten. Wir waren uns einig, dass Johnny Depp genial, dass beim Kerl aus King-Kong eine Nasenoperation überfällig und dass Schokolade lebensnotwendig ist. Wortlos lehnte ich mich an den hölzernen Pfahl hinter mir. Wir befanden uns auf altem Fabrikgelände, etwa eine Viertelstunde von Zuhause entfernt. Wir wohnten nicht weit voneinander entfernt, lediglich ein paar Meter. Doch wir trafen uns trotzdem meistens hier, oder gingen gemeinsam her. Eine Viertelstunde. Eine Viertelstunde weit weg von Eltern, Geschwistern und Stress. Es war keine Lösung, sich hierher zu flüchten, das wussten wir beide, doch es gab einem zumindest das Gefühl für ein paar Stunden glücklich zu sein.
  • Das Fabrikgelände, auf dem wir uns befanden, war groß und verlassen. Niemand kam hierher und wenn doch, dann gingen sie schnell wieder. Wir hatten das Obergeschoss zweier nah beieinander liegender Häuser für uns beansprucht. Im Erdgeschoss lagen noch alte Maschinenteile herum, doch dazu später mehr. Hier oben war es gerade zu dieser Jahreszeit, es war Sommer, sehr heiß. Die Wärme staute sich unterm Dach, doch der gigantische Fabrikventilator, den wir mit Mühe, Not und einem Flaschenzug hier hinauf gehoben hatten, kühlte angenehm. Den Boden hatten wir lediglich gesäubert und dann jeden Teppich darauf gelegt, den wir hatten finden können. Wir hatten den Dachboden meiner Großeltern und die Keller unserer Familien geplündert. Es hatte wochenlang gedauert und war mittlerweile ein Jahr her, dass wir den Großteil unserer Sommerferien damit verbracht hatten die Dachgeschosse wieder herzurichten. Unter der Schräge über mir konnte man eine Leiter hinauf klettern und man gelangte auf einen Vorsprung, von dem aus man das Dachfenster öffnen und auf das flache Fabrikdach klettern konnte. Nicht selten lagen wir dort, sonnten uns und genossen die warmen Sonnenstrahlen. Direkt unterm Dach hingen zwei sporadische, selbstgebastelte Händematten. In ihnen lagen Kuscheltiere, die wir als Dreizehn- und Vierzehnjährige eigentlich gar nicht mehr besitzen durften, doch die wir mit Kindheitserinnerungen verbanden, die wir nicht verlieren wollten, und Decken, sodass wir auch in Winternächten von zuhause fort bleiben konnten, ohne zu erfrieren. Wir hatten alles, sogar Strom. Wie sonst würde der Ventilator funktionieren? Ein großer, alter Schreibtisch stand am Ende des Raumes, davor zwei alte Drehstühle. Links meiner, rechts Yukis. Doch ich sprach ja von zwei Dachgeschossen… Über zwei breite, miteinander verbundene, Bretter konnte man durch eine großes Loch in der Wand (hier war mal ein Fenster, bevor ich es angestupst und es zu Boden gefallen war…) in unser „Badezimmer“ klettern. Es erwartete einen tatsächlich ein Badezimmer. Voll eingerichtet und, nachdem wir es geputzt hatten, auch sauber. Fließendes Wasser und Strom, woher das kommt fragt ihr euch? Das fragen wir uns allerdings auch… Allerdings sind wir schon etwas weiter als ihr!

    „Kommst du mit runter?“, fragte ich gähnend, denn auch der Ventilator konnte die 30°C im Schatten nicht kühlen und so eine Hitze machte mich arg müde. „Jo, wir wollten noch den alten Kühlschrank rauf holen“, erinnerte mich Yuki und ich nickte. Durch ein Loch im Boden ragte einer der großen Holzpfeiler. Mit viel Arbeit hatten wir Holzstücke links und rechts daran befestigt, sodass wir hinunter klettern konnten, denn das Treppenhaus war im Laufe der Jahre eingestürzt, sodass es nicht zu benutzen war. Hinter der flinken Yuki kletterte ich die Sprossen hinab. Was wir sahen verwunderte uns kein Stück, immerhin kannten wir es schon, doch als wir das erste Mal hier gewesen waren, war es gruseliger gewesen…

     

    …“Woah scheiße, schau dir das an Yuki!“, schrie die damals gerade Dreizehn gewordene Mary und öffnete nahezu zaghaft die Tür zu einem gigantischen Fabrikgebäude. „He, nein! Nicht da rein! Mary, da arbeiten bestimmt noch Leute drin!“. Mary prustete und schüttelte den Kopf. Ein wenig ängstlicher als sie eilte Yuki ihr hinterher. Sofort ergriff sie ihre Hand und bemerkte, dass sie zitterte. Ja, sie hatten beide Angst und schrien zeitgleich auf, als es von der Decke auf sie hinab rieselte (aaaah Staubkörner!). Minutenlang kauerten sie sich auf den kühlen Boden und zogen ihre Wintermäntel enger um sich. Es war Februar und kalt. Sehr kalt. Zwar schneite es nicht, denn das tat es ohnehin fast nie, es regnete höchstens und das Wetter war furchtbar, doch ihr Atem schlug dennoch weiße Wölkchen in der Luft. Nach ein paar endlosen Minuten rappelten beide sich wieder auf und sahen sich um. Alle zwei staunten, als sie sich umsahen. Die Fabrik sah aus, als hätten vor fünf Minuten noch Arbeiter an den Maschinen gestanden und gearbeitet. Wären da nicht die Spinnweben und deutliche Zeichen des Verfalls gewesen. Mary schluckte ängstlich und trat weiter in die große Halle hinein. Sie kamen an einem Fließband vorbei. Es war stehen geblieben, doch es war deutlich zu erkennen, dass hier offenbar Maschinenteile produziert wurden. „Wie langweilig“, meinte Yuki schmollend, als sie ein großes Metallstück in die Hand nahm, es nachdenklich betrachtete und zwischen ihren Händen drehte, um herauszufinden, wie rum man es anschauen musste. Mary war inzwischen bei abgestandenem Kaffe angekommen, der in zwei Tassen auf einem großen Schreibtisch vor sich hin schimmelte. „Würg, das ist ja eklig“, meinte sie und verzog das Gesicht. Von Natur aus hatte sie eine Abneigung gegen Kaffe, doch das hier war absolut widerlich. Yuki war inzwischen bei ihr angekommen und sah Mary dabei zu, wie sie auf einem der zwei Schreibtischstühle saß und die Akten aus den Schubladen holte, um sie genauer zu betrachten. Sie waren über eine zerfallene Wand gestiegen, offenbar war das hier mal ein abgetrennter Raum gewesen… Auf dem Schreibtisch stand auch ein Computer, doch als Mary den Knopf drückt, um ihn einzuschalten, explodierte irgendwas in seinem Inneren. „Spätestens jetzt isses kaputt, du Genie!“, motzte Yuki mit verschränkten Armen. Mary kratzte sich verlegen am Kopf und durchsuchte die Akten nach etwas Interessantem, während Yuki gedankenversunken sprach. „Es sieht so aus, als wären die Angestellten hier Hals über Kopf verschwunden… haben ihre Arbeit abgebrochen und alles stehen und liegen gelassen“, meinte sie und warf einen angewiderten Blick auf die Kaffeetassen. Seltsam, für gewöhnlich neigte sie zum überreagieren und hätte die Tassen eigentlich augenblicklich vom Tisch geschmissen. Mary hörte, wie sich Yuki entfernte und sah sich fragend um. Doch sie schlenderte lediglich zwischen den alten Maschinen hin und her, sah sich dies und jenes an und kletterte sogar einen der Pfosten hoch. Seufzend stand Mary von ihrem bequemen Stuhl auf und lief ihr hinterher. Als sie dort ankam, wo Yuki verschwunden war, sah sie zweifelnd nach oben. Eine aufgeregte, quirlige Person winkte ihr aus dem Loch in der Decke entgegen, durch das sie offenbar gekletterte war. „Ich komm da nie hoch!“, jammerte Mary bereits, als Yuki ein Seil hinunter ließ. „Da!“, rief sie lediglich und verschwand. Mary rollte mit den Augen und packte das Seil. Sie stützte die Füße am Pfeiler ab und arbeitete sich so nach oben. Offenbar hatte Yuki das Seil irgendwo festgebunden… „Na los, komm hoch!“, rief Yuki ihr von irgendwo noch weiter oben zu. Alles andere als begeistert ging Mary durch den Zentimeterdicken Staub auf eine deutlich sichtbare Leiter unter einer Dachschräge zu und kletterte hinauf. Oben angekommen stand sie auf einem Vorsprung und sah durch ein offenes Dachfenster nach oben. Ein wenig angenervt strich sie sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht und kletterte letztendlich zu Yuki aufs Dach hinauf. Klirrende Kälte empfing sie – und eine verträumt in den Himmel starrende Yuki. Als sich Mary neben sie auf das flache Dach setzte, schreckte Yuki aus ihren Gedanken auf und sah ihre beste Freundin voller Vorfreude an. „Weißt du was?“, fragte sie mit geheimnisvoller Stimme. Mary schüttelte den Kopf. „Ich hab eine Idee…“.

    Normalerweise war Mary die mit den bescheuerten Ideen, doch an diesem Tag sprach Yuki aus, was sie bereits erträumt hatte, als sie ins Dachgeschoss geklettert war. Doch momentan hatte niemand der beiden besonders viel Zeit. „Lass uns auf die Ferien warten!“, schlug Mary vor und nickte in Richtung der verschwindenden Sonne. Beide strahlten sich an. Zwei völlig verschiedene Mädchen, die den Traum von einem sicheren, abgeschiedenen Ort erfüllen wollten…

     

    „Weißt du noch? In den Osterferien kamen wir nicht dazu, wir waren beide im Urlaub!“, rief ich Yuki lachend zu und Yuki erwiderte wütend. „Ja, meine Eltern mussten mich ja unbedingt mit Kate auf diese bescheuerte Ferienfreizeit schicken! Es war zum kotzen!“. Ich lächelte, denn insgeheim wusste ich, dass es ihr gefallen hatte. Doch ich sagte nichts, in solchen Augenblicken ließ man sie besser in Ruhe. Stattdessen folgte ich ihr schweigend. Nachdem vor etwas mehr als einem Jahr unser Plan zu keimen begann, sind wir öfters hergekommen. An Wochenenden oder nach der Schule… von meiner Schule aus waren es fünf Minuten bis hierher, von Yukis Schule zwar viel weiter, doch fuhr sie jeden Morgen mit dem Zug und vom Bahnhof aus brauchte sie lediglich ein paar Minuten länger als ich, bis sie dort war. Allerdings hatte sie auch länger Schule als ich… Wir hatten bereits zu dieser Zeit einiges hergerichtet. Hatten aufgeräumt, geputzt und manchmal sogar unsere Hausaufgaben in dem Dreck hier gemacht. Und jetzt sah es da oben geradezu wohnlich aus. Gemütlich, bequem. Ja. Zu dieser Zeit hat Yuki auch mal aus Spaß eine der Maschinen angestellt und mit offenem Mund dabei zugesehen, wie sich das Ding in Bewegung gesetzt hatte. Wir wussten zwar nicht, woher der Strom kam und wer ihn bezahlte, doch er war da und das fanden wir toll. Natürlich. Einzig und allein eine Heizung und warmes Wasser gab es nicht. Nur kaltes Wasser, also musste man auch kalt duschen. Nicht besonders toll, aber durchaus erträglich. Ich stieß beinahe mit der Nasenspitze an Yuki, denn diese war abrupt stehen geblieben und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Ich sah über sie hinweg und inspizierte den Kühlschrank, der vor uns stand. „Na denn los!“, meinte ich aufmunternd und grinste ihr zu.

     So weit von der schönen Seite meines Lebens, mit meiner besten Freundin und jeder Menge Zeit. Aber mein Leben wäre diese Geschichte nicht wert, wenn nicht auch andere Seiten existieren würden. Also, lieber Leser, viel Spaß bei dieser melancholisch bis fröhlichen Geschichte. Viel Spaß bei meinem Leben.